Beim Gang über den Wochenmarkt oder auch beim Besuch der Gemüseabteilung im Bioladen, freuen wir uns in den Sommermonaten über die Vielfalt an Gemüse. Wer schon mal durch einen Saatgutkatalog geblättert hat, wird festgestellt haben, dass der Vielfalt an Sorten keine Grenzen gesetzt sind. Das Aussehen einer Zucchini kann von hell- bis dunkelgrün, über gelb und gefleckt variieren. Bio-Züchtungsorganisationen wie die Sativa Rheinau AG sind stets damit beschäftigt, bestehende Gemüsesorten weiterzuentwickeln, um diese an die heutigen Anforderungen auf den Biobetrieben anzupassen sowie den Konsument:innen eine vielfältige Auswahl anzubieten.
Fadi Kanso, Bio-Gemüse-Züchter bei Sativa, arbeitet seit mehreren Jahren an neuen Zucchini-Sorten. Die Sorte Inizia ist bereits seit einiger Zeit auf dem Markt und mit dem bioverita-Label ausgezeichnet. Die Sorte Hermosa ist dieses Jahr neu dazugekommen und zertifiziert worden. Die dritte Sorte, Samsara, steht als Kandidatin für die Zertifizierung in den Startlöchern.

Wie entsteht eine neue Sorte?
Die schönen Blüten der Zucchini werden im Normalfall von Insekten bestäubt. Eine Biene beispielsweise sammelt Pollen von einer Zucchinipflanze und bestäubt die weibliche Blüte einer anderen. Wenn diese beiden Pflanzen von unterschiedlichen Sorten sind, entsteht durch die Bestäubung eine Kreuzung. Würde man die Samen der daraus entstehenden Zucchini ernten und wieder aussäen, würde daraus eine neue Zufallssorte wachsen.
Um gezielt eine neue Sorte mit bestimmten Eigenschaften zu züchten, muss diese Kreuzung kontrolliert von zwei Ausgangssorten stattfinden. Nur so kann nachvollzogen werden, welche Sorten mit welchen Eigenschaften an der Kreuzung beteiligt waren.

Züchtungsziel aufrechter Wuchs
Am Beispiel der Sorte Samsara lässt sich das Vorgehen gut beschreiben. Züchter Kanso hat in Italien eine Zucchinisorte mit aufrechtem Wuchs entdeckt. Die bestehenden Sorten von Sativa haben einen kriechenden Wuchs, d.h. dass Früchte und Blätter mehrheitlich auf dem Boden aufliegen. Die entdeckte Sorte dagegen wächst palmenartig in die Höhe, was die Sichtbarkeit und Ernte der Früchte deutlich erleichtert. Um diese Eigenschaft in eine der bestehenden Zucchinisorten von Sativa einzukreuzen, bringt Kanso händisch den Pollen der männlichen der einen Sorte auf den Fruchtknoten der weiblichen Blüte der anderen Sorte.
Anschließend wird die weibliche Blüte mit einem Hütchen verschlossen, damit es zu keiner weiteren Bestäubung kommen kann. Während der Saison werden auf dem Zucchinifeld mit mehreren Pflanzen zig verschiedene Kreuzungen durchgeführt. Für die Nachverfolgung werden die handgekreuzten Pflanzen mit einem Gummiband gekennzeichnet.

Kritischer Blick über die Generationen hinweg
Im Laufe der nächsten Wochen wird das Wachstum der Früchte genau beobachtet und dokumentiert. Beurteilungsfaktoren sind unter anderem: wie schnell sich die Zucchini entwickelt, Form, Größe und Farbe, die Anfälligkeit für Krankheiten, die Erntbarkeit und – ganz wichtig – der Geschmack. Faktoren, die mit dem Pflanzenwachstum zu tun haben, können sich allerdings erst ab der zweiten Generation entwickeln. Bei Samsara wurde zusätzlich noch Wert auf den palmenartigen Wuchs gelegt. Die Zucchinifrüchte, die den Anforderungen am ehesten entsprechen, werden zu Samenträgern.
Ihre Samen werden entnommen und wachsen im nächsten Jahr zur nächsten Generation heran. Einige Blüten dieser Pflanzen könnten nun wieder mit anderem Pollen gekreuzt werden, um bestimmte Eigenschaften, wie z.B. die Wuchsform der Pflanze, zu verstärken. Jahr für Jahr werden aus jeder Generation die Exemplare mit den besten Eigenschaften selektiert und die Sorte so Stück für Stück weiterentwickelt.

Der lange Weg zur Sorte
Der Bestand wird mit der Zeit immer homogener, d.h. die Pflanzen und Früchte einer Generation werden sich immer ähnlicher. So entsteht ein Sortenbild, also die Gesamtheit von Eigenschaften, die eine Sorte auszeichnet und von anderen abhebt. Über die Jahre hinweg werden die Generationen parallel an mehreren Standorten angebaut. Es können 10 bis 15 Jahre vergehen, bis eine Sorte in ihren Eigenschaften weitestgehend homogen ist. Ist der Züchter mit der Entwicklung der Pflanze zufrieden, wird die Sorte beim Bundessortenamt angemeldet. Nach der Zulassung durch das Sortenamt kann die Sorte bei bioverita für die Anerkennung angemeldet werden.
Die Zulassung erfolgt nach Prüfung durch die bioverita-Labelkommission. Die Label Kommission untersucht, ob alle Kriterien der Richtlinien für die Zulassung als bioverita-Sorte erfüllt sind. Damit die neuen Sorten auch in die Sortimente der Saatgutfirmen aufgenommen werden, wird eine größere Menge Saatgut benötigt. Dafür wird die neue Sorte nicht mehr nur auf einzelnen Versuchsflächen angebaut, sondern auf mehreren größeren Parzellen von verschiedenen Biobetrieben vermehrt. Schließlich kann die neue Sorte dann auch die Auswahl auf dem Wochenmarkt oder im Bioladen bereichern.

Fotos: bioverita