Wir müssen viel radikaler drangehen!

Porträt von Züchter Niklaus Bolliger

„Ich träume von leckeren Tafeläpfeln, die knackig und saftig sind und ein gutes Verhältnis von Süße und Säure haben. Dann muss natürlich die Lagerfähigkeit stimmen und das Aussehen“, schildert Niklaus Bolliger (Jahrgang 1955), biodynamischer Bauer und studierter Agrar-Ingenieur, seine Vision.

Über Jahre machte er die Erfahrung, dass sich solche Früchte mit den existierenden Apfelsorten nur mit viel Pflanzenschutzmaßnahmen produzieren lassen. Das soll sich ändern!

Porträt Niklaus Bolliger

Der Weg zur Züchtung

Pflanzen und die Vererbung bestimmter Eigenschaften hatten Bolliger schon als Kind im elterlichen Garten interessiert, im Studium an der ETH Zürich besuchte er Grundlagenvorlesungen zur Pflanzenzüchtung. Nach dem Studium arbeitete der Schweizer einige Monate in Bayern in der biodynamischen Getreidezüchtung von Georg Willhelm Schmidt, um sich anschließend am Genfersee mit der Gemüse-Saatgutvermehrung bei Ilmar Randuja zu beschäftigen. 1985 übernahm Niklaus Bolliger mit seiner Frau Regula Hof Rigi in Hessigkofen bei Solothurn. Sie stellten den konventionellen Betrieb auf biologisch-dynamische Bewirtschaftung um

für die Direktvermarktung eigener Erzeugnisse. Um das Sortiment mit Obst ergänzen zu können, pachteten sie 1996 zwei Obstanlagen mit verschiedenen Apfelsorten und etwas Birnen. „Wir machten die Erfahrung, dass die Produktion von Tafelobst mit den vorhandenen Sorten nur mit dem regelmäßigen Einsatz von Pflanzenschutzmittelnwie Kupfer und Schwefel gelingen konnte.“ Dies widersprach unserer biologisch-dynamischen Überzeugung und führte schließlich zum richtungsweisenden Entschluss: „Wir müssen da viel radikaler dran gehen, wir müssen Sorten züchten, die für den Bioanbau passen!“

Hof Rigi in Hessigkofen

Gesunde Äpfel – eine Herausforderung!

Pflanzenschutz ist im Obstbau eine extreme Herausforderung. Elementarer Baustein ist die Bekämpfung des Apfelschorfs (Venturia inaequalis), einer Pilzkrankheit, die sich auf den Früchten zeigen kann, aber vor allem die Blätter befällt und den Baum so schwächt, dass kompletter Ernteausfall droht. Hinzu kommt seit einigen Jahren die Marssonina-Blattfallkrankheit mit zum Teil ähnlich dramatischen Auswirkungen.

Um Sorten zu finden, die eine Toleranz gegen diese Krankheiten mit sich bringen und damit den Pestizideinsatz zur Ausnahme machen, selektiert Bolliger seine Sämlinge grundsätzlich ohne Pflanzenschutzmaßnahmen. Ein wichtiges Züchtungsziel ist zudem die gute Lagerfähigkeit der Äpfel, damit sie den ganzen Winter über verkauft werden können.

Blätter mit Schorfbefall

Pionier der biologischen Apfelzüchtung

„Das Wissen zur Obstzüchtung musste ich mir mühsam selbst erarbeiten, in Büchern gab es kaum etwas dazu. Es gab damals nur einen einzigen biologisch-dynamischen Obstzüchter, Mart Vadewall in den Niederlanden. Mit ihm war ich im losen Kontakt,“ schaut der Landwirt zurück. Die Züchtung von Obst ist mit etwa 20 Jahren noch langwieriger als die durchschnittliche Züchtung einer neuen Gemüsekultur. Allein fünf Jahre dauert es, bis ein Baum erste Früchte trägt. 1999 war es dann soweit:

Bolliger säte zum ersten Mal eigene Apfelkerne aus, 2004 konnte die ersten Früchte geerntet werden. Die Betreuung seiner Obstbäume musste anfangs nach Feierabend und sonntags erledigt werden, neben dem restlichen Hofbetrieb. „Bald wurde klar, wenn ich weiter machen will, brauche ich viel mehr Zeit und muss finanzielle Unterstützung kriegen“, erinnert sich der Züchter.

Bolliger mit Tausenden seiner jungen Apfelbäume.

Gründung von Poma Culta

Das gab 2004 den Startschuss zur Gründung des Vereins Poma Culta. Mit Hilfe des Vereins konnten Spendengelder gesammelt werden, die die Weiterarbeit und Intensivierung der Arbeit möglich machten. „Nach und nach hatte ich für die Apfelzüchtung immer mehr von der Gemüseanbaufläche auf unserem Hof gebraucht. Es drohte schon eine Familienkrise“, schmunzelt der Züchter.

Zum rechten Moment, 2007, hörte der Nachbarhof auf und bot Bolliger drei Hektar Land zum Kauf an – die Fläche, auf der die Apfelzüchtung heute stattfindet. Mit Unterstützung der tatkräftigen Vereinsmitglieder von Poma Culta wurden Projektanträge geschrieben und mehrere, z.T. zinslose Darlehen, akquiriert, mit denen die Fläche schließlich erworben werden konnte.

Pomaculta, Apfelzüchter
Logo Poma Culta

Zusammenbruch der Resistenz

Inzwischen sind 17 Jahre vergangen, in denen Bolliger weitergeforscht und Kreuzungen von mehr als 30 verschiedenen Apfelsorten vorgenommen hat, um die guten Eigenschaften hervorzukitzeln. „Was die Resistenz anging war ich 2012/13 auf einem sehr guten Niveau, doch die Resistenz meiner Elternsorten beruhte auf einem einzigen Resistenz-Gen.

Durch die Veränderung des Pilzes brach die Resistenz weltweit zusammen, bei mir war es 2013 so weit. Glücklicherweise fanden sich unter meinen Zuchtlinien mehrere mit einer breiten, polygenen Resistenz. Diese bilden die Basis meiner heutigen Sortenkandidaten“, berichtet Bolliger.

Bolliger bei der manuellen Bestäubung von Apfelblüten.

Vielversprechende Züchtungserfolge

2015 waren dann sechs Sortenkandidaten soweit, dass Bäume für eine externe Sortentestung bestellt werden konnten. „2017 haben wir testweise jeweils 20 Bäume dieser Linien bei sechs Betrieben in unterschiedlichen europäischen Obstbauregionen angebaut, in Holland, Deutschland, Italien und der Schweiz. Dieses wertvolle Netzwerk ist entstanden in Zusammenarbeit mit der Fachgruppe für biodynamischen Obstbau in Europa, in dem Bolliger aktiv ist. Im Jahr 2020 haben die Bäume an den meisten Orten den ersten größeren Ertrag gebracht.  

Dabei hat sich hat sich die Linie mit der Nr. 1399 als besonders vielversprechend hervorgetan. Mit dem Ziel sie als neue Sorte aus Biozüchtung in den Handel zu bringen, plant Poma Culta mit vier Betrieben noch größer angelegte Versuche durchzuführen. „Die Anmeldung einer neuen Apfelsorte zur europäischen Registrierung ist aufwändig und mit hohen Kosten verbunden, deshalb müssen wir die Anbaueignung und auch die Marktchancen vorher gründlich abklären,“ gibt der Züchter zu bedenken.

Äpfel der Linie 1399

Handelsprojekt in Aussicht

Ein sortenreiner Apfelbaum muss immer vegetativ vermehrt werden. Er besteht aus einer (neutralen) Unterlage, also einem kleinen Bäumchen, das mit einem Edelreis der gewünschten Sorte veredelt wird. Die nächsten Testbäume wird eine holländische Baumschule mit Edelreisern von Poma Culta produzieren. Im August 2021 sollen die Veredelungen stattfinden. Wenn alles läuft wie geplant, können die Bäume 2023 bei den vier beteiligten Obstbauern gepflanzt werden. 2025 sollen die ersten Äpfel an die interessierten Handelspartner gehen, die bereits in den Startlöchern stehen.

bioverita wird diesen Prozess der Markteinführung unterstützen und unter dem Label „Bio von Anfang“ für die Notwendigkeit von Sorten aus biologischer Züchtung werben. Bolliger ist überzeugt, dass das Label helfen kann bei der Kommunikation und Verbreitung der neuen Apfelsorte – oder vielleicht werden es sogar mehrere? Der Züchter ist optimistisch. Er ist seiner Vision von leckeren und robusten Äpfel aus biologischer Züchtung schon sehr nahe gekommen.

geerntete Äpfel

Fotos: 1, 2, 4 bioverita; 3, 5-7 Niklaus Bolliger