Weizen – ein Leuchtturm für die Bio-Züchtung

Porträt von Züchter Michael Locher

„Trotz der widrigen Wetterbedingungen dieses Jahr, haben sich unsere Weizensorten im Anbau bewährt. Das ist eine schöne Bestätigung“, freut sich Michael Locher. Der Weizenzüchter schaut zurück auf eine herausfordernde Anbau- und Erntesaison. Starke Gewitter haben im Sommer 2021 vielerorts dazu geführt, dass sich das Getreide ablagerte, also seine Standfestigkeit verlor.

Die folgenden feuchten Wochen förderten den gefürchteten Auswuchs des Getreides: Die Körner keimen in der Ähre und verlieren damit ihre Keim- und Backfähigkeit. Sie können dann nur noch als Viehfutter verwendet werden.

Michael Locher im Zuchtgarte
Porträt Michael Locher

Der langwierige Züchtungsprozess

Michael Locher (Jg. 1985) arbeitet seit neun Jahren bei der Getreidezüchtung Peter Kunz, kurz GZPK. Hier werden jedes Jahr 80–150 Weizen-Kreuzungen per Hand durchgeführt, etwa 4.000 Einzelähren mit guten Eigenschaften werden geerntet und neu ausgesät. Nur etwa 10 % bewähren sich, kommen im nächsten Jahr wieder in den parzellierten Anbau und sind Teil von neuen Kreuzungen. Nach mehreren Generationen gibt es interne Vor- und Sortenprüfung auf größeren Flächen.

Genau dafür ist Locher zuständig. „Ich begleite die Zuchtstämme circa ab der 7. Generation, also ab dem 7. Jahr des Züchtungsprozesses. Wir bauen sie zur Beobachtung parallel an verschiedenen Versuchsstandorten in Feldbach, Rheinau, Uster (CH) und in Hessen an. Außerdem bin ich Ansprechpartner für unsere Partner:innen an den zwei Standorten in Italien“, erklärt der Züchter.

Kreuzungen in Feldbach
Kreuzungen in Feldbach

Der Weg zur Züchtung

Vor seiner Tätigkeit bei der GZPK hat Locher den Bachelor in Agronomie an der Fachhochschule in Zollikofen bei Bern gemacht, Fachrichtung „Internationale Landwirtschaft“. Während des Studiums betreute er ein Projekt in Indien zum Anbau von Bio-Baumwolle.

„Danach war mir klar, dass ich Forschung und Praxis unbedingt miteinander kombinieren wollte“, erzählt Locher. Das Probearbeiten bei der GZPK hat ihn dann sofort überzeugt: „Hier hat jeder ein breites Aufgabenspektrum und ein hohes Maß an Selbstverantwortung. Gleichzeitig ist die Arbeit im Team unheimlich wichtig.“

Zuchtgarten GZPK
Der Zuchtgarten der GZPK am Zürichsee

Züchter UND Landwirt gleichzeitig

Nebenbei betreibt er einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb in einer Pachtgemeinschaft. Dort werden neben der Haltung einer Mutterkuhherde und der Pflege der Reben unter anderem Weizen, Dinkel, Hirse, Raps, Roggen und Hafer angebaut. Der größte Teil der Ernte geht an Mühlen, den kleineren Teil (fast 2 Tonnen) vermarktet Michael mit seiner Familie direkt in einem kleinen Hofladen.

Was zeitlich sehr herausfordernd ist, hat auch einen großen Vorteil: „Ich sehe täglich beide Seiten: Die Züchtung auf der einen, den Anbau auf der anderen Seite aus der Perspektive derjenigen, die mit den Sorten arbeiten und auskommen müssen“, erläutert Locher.

Michael Locher mit einer Rätischen Grauvieh-Kuh
Locher mit einer Rätischen Grauvieh-Kuh auf seinem Hof

Die Aufgaben im Jahresverlauf

Seine Aufgaben im Jahresverlauf sind sehr abwechslungsreich. „Im Oktober säe ich das Wintergetreide aus, im Winter werte ich das Vorjahr aus und erstelle die nächste Anbauplanung. Das Frühjahr beginnt mit der Dokumentation des Auflaufens, so nennt man die Keimung und das frühe Wachstum des Getreides. Ab diesem Zeitpunkt gehe ich fast wöchentlich durch die Parzellen und dokumentiere die Wüchsigkeit“, erzählt der Züchter.

Dabei untersucht er die Pflanzen auch nach typischen Pilzkrankheiten wie Mehltau, Braunrost, Gelbrost, Ährenseptoria sowie Blattfusarium. Zeigen sich Anzeichen der Krankheit? Wie stark breitet sie sich aus und wie sehr leidet das Wachstum? Relevant sind außerdem Kriterien wie der Abstand der Ähre vom Fahnenblatt sowie der Abstand der Ähren untereinander. Sie sollten nicht zu dicht beieinander wachsen, damit sie bei Feuchtigkeit abtrocknen können.

Weizenähren im Zuchtgarten
Weizenähren im Zuchtgarten

Kleine Brötchen für die Qualitätsprüfung

Von Juli bis September steht die arbeitsintensivste Phase im Jahr an. In kurzer Zeit muss alles geerntet werden. In regenreichen Sommern wie 2021 ist es eine Herausforderung, das richtige Erntefenster abzupassen. Nach der Ernte werden die Körner gewogen und der Gesamtertrag einer Parzelle ermittelt. Es folgt die backtechnologische Qualitätsanalyse, zu der sogenannte Minibackversuche gehören. Dabei werden aus dem geernteten und vermahlenen Korn kleine Brötchen mit verschiedenen Gehzeiten gebacken. Die Brotvolumina verraten, wie gut sich die jeweiligen Zuchtlinien verbacken lassen.

„Aufgrund all dieser Daten selektiere ich einzelne Zuchtlinien für den Anbau im Folgejahr. In der 10. oder 11. Generation entscheide ich schließlich, welche Sorten für die offizielle Anmeldung infrage kommen. Meistens sind das zwei Stämme pro Jahr“, erläutert Locher. Erst wenn die Zuchtlinien sich auch im zweijährigen Versuchsanbau beim Bundessortenamt bewähren, werden sie für den Verkauf zugelassen. Die zugelassenen Sorten werden schließlich durch die Sativa Rheinau AG weitervermehrt, damit genügend Saatgut für den Anbau zur Verfügung steht.

Backversuch Prim
Verschiedene Getreidelinien im Backversuch

Verkaufsschlager

Zu Lochers Tätigkeiten gehört auch die Beratung von Landwirt:innen zum Anbau der bereits zugelassenen Weizensorten aus der Züchtung von GZPK-Gründer Peter Kunz. Die Sorte Wiwa (2005 zugelassen) ist seit Jahren die am meisten angebaute Sorte im Biolandbau in der Schweiz sowie in Süddeutschland.

Sie gilt auch unter schwierigen Bedingungen als sehr zuverlässig, sei es bei der starken Frühjahrstrockenheit der letzten Jahre oder angesichts des vielen Regens in diesem Sommer. Wiwa bringt stabilen Ertrag und punktet mit einer hohen Auswuchsstabilität und sehr guten Backeigenschaften.

Winterweizen_Wiwa
Weizensorte Wiwa

Wachsende Marktanteile der Biosorten

Bezüglich Qualität liefert Tengri (2007) noch etwas bessere Werte, ist aber weniger standfest. Die Sorte Pizza (2012) zeichnet sich durch kräftigen Wuchs aus, der sich bei hohem Unkrautdruck bewährt hat. Im Schweizer Biosaatgutmarkt erreichen die Weizensorten, die alle bioverita-zertifiziert sind, einen Marktanteil von 60%.

In Süddeutschland, wo sich v.a. die Bioland Handelsgesellschaft für Anbau und Vermehrung der Sorten aus Bio-Züchtung stark macht (siehe Bericht), hat Wiwa allein 45% Marktanteil, die anderen Sorten zusammen 5–8 %. In einem extremen Anbaujahr wie 2021 fungierten die Sorten vielerorts als „Risikoabsicherung“, wie die Zeitschrift „Der Zürcher Bauer“ im August konstatierte.

Weizen_Tengri
Weizensorte Tengri

Die Bio-Sorte der Zukunft

Dennoch geht die Züchtung weiter. Sie muss weitergehen, wie Locher erläutert: „Es wird nie die eine perfekte Sorte geben. Zudem haben wir es immer wieder mit neuen Anforderungen zu tun: aufgrund des Klimawandels, durch neue Ansprüche in der Verarbeitung oder weil neue Schaderreger auftreten, gegen die die Pflanzen noch nicht resistent sind.“

Ein weiteres Züchtungsziel ist außerdem eine höhere Ressourcen-Effizienz, wie der Züchter es nennt. Die Sorten der Zukunft sollen trotz geringer Stickstoffmengen einen stabilen Ertrag und gleichzeitig bei mittlerer Proteinmenge eine gute Backqualität erreichen.

Getreideernte
Getreideernte

Bio-Züchtung setzt Maßstäbe

Als Peter Kunz vor 30 Jahren mit seiner Züchtungsarbeit begann, war der Bedarf nach eigenen Biosorten enorm. Inzwischen hat sich viel getan, die Bio-Sorten haben sich so gut etabliert, dass sich die konventionellen Züchter Dinge abschauen und nun eine konventionelle Branchenvereinigung eine Sorte aus Bio-Züchtung für die eigene Empfehlungsliste testen will.

Eine vielversprechende Entwicklung. „Mit dem Weizen haben wir ein Leuchtturmprojekt, das zeigt, dass es möglich ist, als Bio-Züchter Maßstäbe zu setzen“, freut sich Locher und blickt optimistisch in die Zukunft.

Ausblick Zuchtgarten
Ausblick

Bildnachweis: Michael Locher (Foto 4), GZPK (Fotos 6, 9), Rest bioverita