Porträt von Züchter Christoph Matthes
Christoph Matthes (Jg. 1963) fand nach fünfjährigem Medizinstudium den Weg zur Züchtung durch die Gärtnerausbildung bei der Lebensgemeinschaft Bingenheim. Hier kam er erstmals mit der Saatgutvermehrung, -aufbereitung und auch mit der Züchtung in Berührung. Im Anschluss besuchte er 1996/97 das Studienjahr der Landbauschule Dottenfelderhof.
Hier wechselte er dann in die Abteilung Forschung und Züchtung Dottenfelderhof (FZD). Was ihm besonders an der Züchtung gefällt? „Die Freiheit im Züchtungsprozess, den eigenen Weg zu finden“, sagt Matthes. „Dabei ist man wie in einem Gespräch, in einem Wechselverhältnis mit der Pflanze.“
Liebling Rosenkohl
Zu Beginn bei der FZD unterstützte Matthes Hartmut Spieß bei den laufenden Projekten zur Gemüsezüchtung. Nach und nach übernahm er diese ganz und entwickelte sie weiter. Gefragt nach der Kultur, die ihm am meisten am Herzen liegt, nennt Matthes den Rosenkohl. Kein Wunder, denn dies war die erste Kultur, mit der er sich lange beschäftigt hat und noch immer beschäftigt. Ab 1998 war er an der Selektionsarbeit für die Rosenkohlsorte Idemar beteiligt. Rosenkohl gehört zu den zweijährigen Kulturen,
da er im ersten Jahr gesät wird, aber erst im darauffolgenden Jahr Samen der blühenden Pflanzen gewonnen werden können. Entsprechend lange dauert der Züchtungsprozess. „Ziel der Rosenkohlzüchtung war es, eine samenfeste Alternative für den Erwerbsanbau zu entwickeln, wo die F1-Hybridsorten immer stärker dominierten“, erklärt Matthes. „Zudem wollten wir eine Sorte mit zylindrischem statt pyramidalem Aufbau züchten, um die Ernte in einem Arbeitsgang zu ermöglichen“, ergänzt er.
Versuchsanbau auf der britischen Insel
Ab 2004 führte Matthes die Züchtung alleine fort, bis er die Sorte 2009 schließlich zur Registerprüfung anmelden konnte. Aus Interesse fuhr er persönlich nach Edinburgh, wo der Versuchsanbau der Europäischen Union stattfand. „Ich war angetan, bei den Mitarbeitern vor Ort ein so großes Verständnis für diese Kultur vorzufinden. Zum Vergleich mit Idemar waren viele andere samenfeste Sorten angebaut worden, was alles andere als selbstverständlich ist“, erklärt Matthes.
Aufgrund der schnellen Weiterentwicklung der Hybridsorten, die stark auf die Maschinenernte abgestimmt sind, wird Idemar heute vor allem von Direktvermarktern und Hausgärtnern angebaut. Die Sorte bietet einen ausgewogenen, mild-aromatischen Geschmack. Sie lässt sich leicht ernten und liegt beim Ertrag etwas über den anderen verfügbaren samenfesten Sorten.
Die Vielfalt der Tomaten – Stabtomate Dorenia
Neben dem Rosenkohl spielen die Tomaten in Matthes` Arbeit eine bedeutende Rolle. Im Laufe der Jahre hat er als Züchter des Netzwerks Kultursaat e.V. drei Tomatensorten angemeldet, die alle bioverita-zertifiziert sind. Tomaten gehören zu den einjährigen Kulturen, deren Früchte und Samen also im Jahr des Anbaus geerntet werden können. „Dennoch kann der Züchtungsprozess sehr lange dauern“, berichtet Matthes aus Erfahrung. Als Beispiel nennt er die Stabtomate Dorenia.
Sie entstand im Laufe von 15 Jahren aus der Kreuzung der Sorten Matina und Quadro (1997-2011). Züchtungsziel war hier neben gutem Ertrag und Geschmack vor allem die Toleranz gegenüber der Kraut- und Knollenfäule (Phytophthora infestans). Bei jeder Selektion wurden also Pflanzen mit möglichst spätem und geringem Fäulnis-Befall bei gleichzeitig gutem Geschmack und geringer Mehligkeit ausgewählt. 2010 meldete er die Sorte beim Bundessortenamt an.
Buschtomate Bogus Fruchta
Parallel dazu prüften Spieß und Matthes ab 2002 mehrere Buschtomatensorten aus den 1930er-Jahren auf ihre Eignung für den ökologischen Landbau heute. Die Sorte Fruchta überzeugte am meisten mit Geschmack und Frühzeitigkeit. Um die frühe Erntereife noch zu verstärken, selektierte Matthes in den Jahren 2003 bis 2011 gezielt hinsichtlich früh reifender Pflanzen. 2012 schließlich wurde Bogus Fruchta zusammen mit Dorenia als
Amateursorte vom Bundessortenamt zugelassen. „Im Sortennamen Bogus Fruchta lebt der Name ihres Züchters, des Pflanzenbauwissenschaftlers Eduard von Boguslawski (+ 1999) fort“, verrät Matthes. Schließlich ließ der Professor in den 1970er-Jahren in Gießen die ersten Dissertationen mit biologisch-dynamischen Fragestellungen anfertigen.
Biodynamische Forschungsprojekte
Parallel zu den genannten Züchtungsprojekten, die der Saatgutfonds förderte, war Matthes immer auch in Forschungsprojekte am Institut für biologisch-dynamische Forschung in Darmstadt involviert. Hier kümmerte er sich vor allem um Düngungs- und Feldversuche sowie um die Präparate-Forschung. Der Einsatz der sogenannten Präparate ist ein grundlegendes Element des biodynamischen Landbaus. Das Wissen um sie geht auf Rudolf Steiner zurück; das regelmäßige Ausbringen der Präparate ist in den Demeter-Richtlinien festgeschrieben.
Dabei werden im Winterhalbjahr Pflanzenteile, Kuhdung oder Quarzmehl in einem Kuhhorn im Boden vergraben, damit sich die Substanzen unter den Wirkkräften der Natur zersetzen. Anschließend werden sie stark mit Wasser verdünnt auf den Ackerboden oder den Kompost aufgebracht. Die Wirkung der Präparate auf das Bodenleben und die Pflanzengesundheit wurde immer wieder in wissenschaftlichen Untersuchungen – auch von unabhängigen Instituten wie dem FIBL (Forschungsinstitut für biologischen Landbau) – bestätigt.
Cherrytomate Philamina
Das Prinzip wirkte sich ganz offenbar auch positiv auf Matthes` Züchtung der Cherrytomate Philamina aus. Nach der Kreuzung eines Nachkommen der Hybridtomate Philovita F1 mit der biologisch-dynamischen Sorte Zuckertraube wurde im Winter 2010/2011 im Rahmen eines Forschungsprojektes Saatgut der 4. Generation (F4) ebenfalls in ein Kuhhorn gefüllt und in die Erde eingegraben.
Die so behandelte Zuchtlinie fiel später im Vergleich durch ihre gute Geschmacks- und Vitalqualität auf und wurde für die Weiterzucht verwendet. Die 2018 zugelassene Sorte Philamina empfiehlt Matthes besonders für den Freilandanbau, da sie eine hohe Platzfestigkeit aufweist und gleichzeitig sehr widerstandsfähig ist.
So könnte Matthes noch stundenlang weiter von seinen Kulturen berichten. Noch mitten im Züchtungsprozess befindet sich beispielsweise seine Arbeit an einer neuen Brokkolisorte. „Brokkoli ist eine besonders herausfordernde Kultur. Nicht umsonst gibt es hier kaum mehr samenfeste Sorten, die den heutigen Anforderungen entsprechen“, konstatiert der Züchter. Doch zum Glück kann er sich auf seine langjährige Erfahrung verlassen. Er arbeitet im stetigen Wechselverhältnis mit der Pflanze und das hat ihn bisher immer weitergebracht.
Christoph Matthes ist Mitglied bei Kultursaat e.V., dem größten europäischen Netzwerk für biodynamische Pflanzenzüchtung. Dem Netzwerk gehören über 30 Züchter*innen in Deutschland und den Niederlanden an.
Fotos: bioverita, Bingenheimer Saatgut AG, Sativa Rheinau AG