Züchterporträt Catherine Cuendet
Unterwegs im Getreidezuchtgarten von Gut Mönchhof im Hessischen, nahe der Thüringischen Grenze. Seit 2021 hat hier der deutsche Ableger der Getreidezüchtung Peter Kunz (GZPK) aus der Schweiz seinen Sitz. Der Zuchtgarten liegt auf einer Anhöhe, rundherum bietet sich ein herrliches Panorama:
Auf der einen Seite die Hessische Schweiz, in südlicher Richtung die Leuchtberge, östlich der Hohe Meißner, der auch Frau Holleberg genannt wird. Wir begleiten Züchterin Catherine Cuendet auf ihrem Gang durch die Getreideparzellen, der melodiöse Gesang der Feldlerche flirrt dabei in der Luft.
Dinkel – ein „junges“ Getreide
„Mich interessieren Dinge, die noch unfertig sind,“ erzählt Cuendet (Jg. 1972), und meint damit den Dinkel. Das Getreide ist erst vor etwa 4.000 Jahren entstanden und damit deutlich jünger als Weizen. Es wird vermutet, dass Dinkel einer Kreuzung von Emmer und Triticum aestivum spp. compactum, dem Zwergweizen, entspringt. Damit ist Dinkel zwar eng verwandt mit Weizen, aber züchterisch bisher vergleichsweise wenig bearbeitet.
Entsprechend viel Entwicklungspotenzial gibt es noch. Über lange Zeit war Dinkel das wichtigste Brotgetreide in Mitteleuropa, bis er im 19. Jahrhundert mehr und mehr vom Weizen verdrängt wurde. Cuendet ist eine der ganz wenigen Züchter:innen weltweit, die sich mit Dinkel beschäftigen. Zusammen mit Franca dell’Avo, die am Sitz der GZPK in der Schweiz arbeitet, ist sie wohl die einzige biologische Dinkelzüchterin.
Besonderheiten beim Dinkel
Die Dinkelsorte Alkor war die allererste Sorte, die von der GZPK auf den Markt kam „Diese Sorte war der Start“, stellt Cuendet rückblickend fest. Nach dem Studium der Ökologischen Agrarwissenschaften an der Uni Witzenhausen fing sie 2002 bei der GZPK an und erlernte von Pflanzen-Züchtungspionier Peter Kunz über mehrere Jahre das praktische Handwerkszeug der biodynamischen Züchtung. Inzwischen gibt es acht neuere Dinkelsorten der GZPK mit weiterentwickelten Eigenschaften: Copper, Edelweisser, Flauder, Gletscher, Reisa, Serpentin, Asturin und Cascada. Es sind die bisher einzigen Biosorten auf dem Markt. Sie wurden von Anfang an unter Biobedingungen gezüchtet. „Dinkel ist eine unglaublich schöne Pflanze“, schwärmt Cuendet.
„Ich mag seine spielerische Art und Leichtigkeit im Wuchs.“ Dinkel wächst höher und lockerer als Weizen, er ist etwas ausladend, wodurch er eine bessere Bodenbedeckung hat und Unkraut besser unterdrückt. Der Dinkel ist eine genügsame Pflanze, anders als Weizen eignet er sich gut für den extensiven Anbau. Er kann am Ende der Fruchtfolge stehen, wenn nicht mehr viele Nährstoffe im Boden zur Verfügung stehen. „Mit Dinkel verbinden viele Konsument:innen Natürlichkeit, etwas Ursprüngliches. Manchen schmecken die Backwaren oder Nudeln aus Dinkelmehl einfach besser oder sie vertragen sie besser. Es gibt wohl keine Bäckerei, die heute kein Dinkelbrot anbietet“, berichtet die Züchterin.
Züchtungsziele
„Weil es so wenig Züchtungshäuser gibt, die sich mit Dinkel beschäftigen und nur verhältnismäßig wenige Sorten zugelassen sind, geht es grundsätzlich darum, die genetische Diversität zu erweitern“, sagt Cuendet, und ergänzt: „Im Zuchtgarten haben wir frühe Zuchtstufen, von denen wir wissen, dass sie nie auf den Markt kommen werden. Aber in den ersten Stufen mit ihrer breiten genetischen Diversität liegt die Zukunftsfähigkeit einer Kulturpflanze.“ Daneben gibt es die markttechnische Perspektive: Welche Anforderungen gibt es im Anbau, für die es neue, angepasste Sorten geben sollte? In der Praxis werden Sorten für unterschiedliche Zeiträume für Aussaat und Abreife benötigt.
Zudem werden Resistenzen gegen Pilzkrankheiten wie Steinbrand, Gelbrost und Schwarzrost immer wichtiger. Seit Anfang 2023 gibt es zudem für alle Getreidesorten die Möglichkeit, Ökologisch Heterogenes Material (ÖHM) in die Sortenanmeldung zu geben. Hier sind nicht reine Liniensorten gefragt, bei denen jede Pflanze wie die andere aussehen muss. Stattdessen geht es um ein Diversitätsgemisch, das Umweltstress besser abpuffern soll. „Das gefällt mir als Idee sehr gut“, sagt Cuendet. „Derzeit laufen zwei Projekte, um Dinkel-ÖHMs zu testen und in den Anbau zu bringen“, berichtet sie.
Wie durch Kreuzung neue Sorten entstehen
Kreuzungen zweier Sorten oder Züchtungslinien werden per Hand vorgenommen. Dafür braucht es viel Fingerspitzengefühl und den richtigen Zeitpunkt. Getreidepflanzen sind Selbstbefruchter – die eigene Bestäubung muss also verhindert werden. „Sobald die Ähre `schiebt` [Fachjargon für „herauskommen“]“, erklärt Cuendet, „schneidet man die einzelnen Ährchen [Bestandteile der Ähre] auf und zieht mit einer Pinzette die drei Pollensäcke heraus.
Übrig bleibt der Fruchtknoten. Dieser muss vor unbeabsichtigter Bestäubung geschützt werden, dafür stülpen wir eine Tüte über die Ähre. Wenn dann die Pollenspender, also die Vaterpflanzen blühen, schneiden wir drei ihrer Ähren ab. Diese stecken wir in die Tüte der Mutterpflanze. Man schüttelt ein bisschen und die Bestäubung findet statt.“
Ein langer Beobachtungsprozess
Jede bestäubte Ähre wird mit einem Schild versehen, nummeriert und katalogisiert. Pro Ähre reifen etwa 20-25 Körner aus. In der nächsten Saison werden diese in einer Reihe ausgesät und ergeben dann die F1, also Generation 1 nach der Kreuzung. Es folgen viele weitere Generationen, bei denen Wuchsform, Standfestigkeit und Pflanzengesundheit genau beobachtet werden. Ab der F5 werden vielversprechende Zuchtlinien an mindestens zwei Standorten parallel angebaut, um ihre Anpassungsfähigkeit zu testen.
In späteren Zuchtstufen geht es dann zusätzlich noch um die Backqualität sowie technische Eigenschaften. Gerade letztere sind beim Dinkel besonders herausfordernd, da das Korn von einem Spelz umgeben ist. Bei der ersten Stufe der Verarbeitung, dem Dreschen, bleibt der Spelz erhalten. Deshalb muss die Ernte anschließend noch in eine Rollmühle oder Gerberei für die Entspelzung, bevor sie zu Mehl verarbeitet werden kann.
Herausforderungen bei der Züchtung
Aber auch für die Wiederaussaat muss die technische Beschaffenheit stimmen. Die Vese, also das Dinkelkorn im Spelz, muss eine bestimmte Form haben, damit sie die Sähmaschine nicht verstopft. Dies kann zu einem KO-Kriterium werden – auch wenn nach einem Prozess von vielen Jahren alles andere stimmt. „Leider lässt sich gerade diese Eigenschaft erst zu einem sehr späten Zeitpunkt der Züchtung testen, wenn genügend Saatgut einer Zuchtlinie verfügbar ist.
Auch zum Ertrag kann man erst ganz am Schluss eine Aussage machen“, fügt Catherine Cuendet an. Davon lässt sich die Züchterin aber nicht entmutigen: „Ich sehe meine Aufgabe darin, den Dinkel als Kulturpflanze weiterzuentwickeln. Er ist mein Gegenüber, er gibt mir etwas wieder und ich lerne daraus. Es entsteht eine sehr enge Beziehung zwischen den Pflanzen und mir.“
Fotos: bioverita