„Der Anbau für die Saatgutvermehrung ist sehr aufwändig und gleichzeitig mit vielen Risiken verbunden“, berichtet Gärtnerin Inka Harms von der Demeter-Gärtnerei Piluweri in Müllheim nahe Freiburg. Trotzdem engagiert sich die Gärtnerei für die Vermehrung und übernimmt jedes Jahr Vermehrungsaufträge im Auftrag von Saatgutfirmen wie der Bingenheimer Saatgut AG oder der Sativa Rheinau AG in der Schweiz.
Im Laufe der Jahre hat die Gärtnerei schon eine beachtliche Liste von Kulturen vermehrt: Aubergine, Gurke, Möhre, Lauch, Tomaten, Paprika, Rote und Gelbe Bete, Mangold, Kornblume, Ringelblume sowie Kümmel: „Als Anbaubetrieb brauchen wir in der Gärtnerei selbst jedes Jahr Saatgut vieler verschiedener Gemüsesorten. Wenn es niemanden gäbe, der die Sorten regelmäßig vermehrt, woher bekämen wir es?“, fragt Harms zurecht.
Samenfeste Sorten lebendig halten
„Manche samenfeste Sorten würden binnen weniger Jahre vom Markt verschwinden und letztlich ganz verloren gehen, so wie es leider bei vielen traditionellen Sorten schon passiert ist“, gibt sie zu bedenken. Eine weitere Motivation ist es, sich die Unabhängigkeit von Großkonzernen zu bewahren, die das Hybrid-Saatgut für viele Arten vertreiben. Hybride sind Kreuzungen von zwei genetisch sehr verschiedenen Elternpflanzen.
Sie liefern in der ersten Generation nach der Kreuzung sehr gleichförmige Früchte. Aus deren Samen entstehen allerdings in den Folgegenerationen sehr verschiedene Tochterpflanzen mit sehr unterschiedlichen Früchten – wenn ihre Samen überhaupt keimfähig sind. Sie sind somit nicht nachbaufähig, da die Früchte einer Gemüseart im professionellen Anbau alle möglichst ähnlich aussehen sollten.
Herausforderungen bei der Vermehrung
Einige Gemüsekulturen wie Möhren und Mangold sind zweijährig, d.h. sie blühen erst im zweiten Jahr nach der Aussaat und müssen somit gut über den Winter gebracht werden. Auch Lauch steht vom Frühsommer des einen bis zum Spätsommer des nächsten Jahres auf dem Acker, bis endlich Samen geerntet werden können. „In einer so langen Zeit kann viel passieren: Starker Frost, Stürme, Gewitter und hungrige Feldmäuse sind nur ein paar Beispiele, wodurch der Saatgutertrag geschmälert oder gar zu Nichte gemacht werden kann“, berichtet Harms.
Und natürlich brauchen die Vermehrungskulturen genauso wie das Gemüse, das in den Verkauf geht, eine aufmerksame Betreuung: Beikräuter müssen gejätet werden, wilde Arten der gleichen Pflanzengattung müssen entfernt werden, damit sie sich nicht einkreuzen, blühender Lauch braucht ein Stützgerüst etc.
Gute Keimfähigkeit gefragt
Gemüseanbauer benötigen gesundes, keimfähiges Saatgut. Die Samen mancher Gemüse sind nur 1-2 Jahre keimfähig, so dass jährlich neues Saatgut produziert werden muss, Beispiele sind Schnittlauch und Pastinaken. Die Samen von Tomaten hingegen keimen nach ein paar Jahren sogar besser als im Jahr nach ihrer Ernte. Länger als 5-7 Jahre sollte man sie dennoch nicht lagern. Und natürlich hängt es auch von der richtigen Lagerung ab, wie lange ein Samen keimfähig bleibt. Ideale Lagerung bedeutet kühl und dunkel, geringe Luftfeuchtigkeit und vor allem aber auch möglichst geringe Temperaturschwankungen. „Für die Ernte müssen wir den richtigen Zeitpunkt abpassen, damit wir bestmögliches Saatgut ernten können“, erklärt Harms.
„Möglichst viele Samen sollten ausreichend reif sein, um keimfähig zu sein, gleichzeitig sollten möglichst wenige Samen vor dem Sammeln oder Dreschen schon heruntergefallen sein“, erläutert die Gärtnerin. Geerntet werden darf nur bei trockenem Wetter, nach der Ernte müssen die Samen schnell weiter getrocknet werden, damit sich keine Pilzinfektionen ausbreiten. Zu diesem Zweck kommt eine Trocknungsanlage mit Gebläse zum Einsatz. Wenn der Anbau bis zur Samenernte geglückt ist, steht immer noch die bange Frage im Raum: Wie hoch ist die Keimfähigkeit? Je nach Gemüseart ist der Ankaufstandard verschieden, die Samen sollten über ihre ganze Verkaufsperiode eine Mindestkeimfähigkeit behalten: bei Lauch und Petersilie werden 75% Keimfähigkeit akzeptiert, bei Mangold sollte diese über 85% liegen und bei Tomate sind 90% Keimfähigkeit wünschenswert.
Wie es nach der Ernte weitergeht
Nach der Ernte geht das Saatgut in großen Säcken per Spedition zu den Saatgutfirmen. Je nach Gemüseart muss das Saatgut dort mit Spezialmaschinen gedroschen, gereinigt und nach Korngrößen sortiert werden. In den firmeneigenen Laboren werden die Samen auf anhaftende Schaderreger untersucht und bei Bedarf mit warmem Wasser oder Dampf behandelt, um die erforderliche Keimfähigkeit zu verbessern. „In schlechten Jahren kann es passieren, dass die geernteten Samen die benötigte Mindestkeimfähigkeit nicht erreichen“, fügt Harms hinzu.
„Der Moment der großen Enttäuschung bei allen Beteiligten: Die Saatgutfirma kann ihre Kunden nicht beliefern und wir haben viel Geld und Zeit investiert, die nicht entlohnt wird.“ Nichtsdestotrotz gefällt der Gärtnerin die Saatgutvermehrung: „Es macht unendlich viel Freude, eine Pflanze von der Aussaat über das Keimen, Aufwachsen, Blühen bis zur Samenbildung zu beobachten. Und sich im nächsten Jahr zu erinnern, woher der soeben gesäte Same stammt“, strahlt Harms.
Neben den Vermehrungsaufträgen baut die Gärtnerei Piluweri Gemüse für die Vermarktung an und ist bei der Züchtung neuer Sorten aktiv. Piluweri ist Züchtungsstandort des Züchternetzwerks Kultursaat e.V. und hat schon eine Reihe neuer Sorten hervorgebracht: neben den Tomatensorten Pilu und Tica die Salate Briweri, Piro und Zulu, den Porree Avano, die Möhre Nantaise 2/Milan, die Paprika Pantos und die Aubergine Zora. Allesamt sind bioverita-zertifiziert. Zuletzt wurde der neue Rucola Lola beim Bundessortenamt angemeldet. Vor einiger Zeit berichteten wir von einem Besuch bei der Gärtnerei.
Der obige Text basiert auf einem Beitrag von Inka Harms im Piluweri-Blog: https://www.piluweri.de/blog/
Die Fotos stammen von Tatsiana Wolf, Piluweri.