Wo beginnt Bio? Bei Züchtung und Saatgut! „Für viele Menschen ist dieser Gedanke neu – für die Aussteller:innen am „Treffpunkt Bio-Züchtung“ ist dies eine Selbstverständlichkeit“, stellte Anna-Lena May, Projektmanagerin bei bioverita klar. Um mehr Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass Bio eben nicht erst mit dem Anbau auf bio-zertifizierten Flächen beginnt, sondern bei der zeitintensiven Züchtung von Pflanzen, waren die Sätze „Wo beginnt Bio? Bei Züchtung und Saatgut!“ prominent am großen Gemeinschaftsstand zur Bio-Züchtung zu sehen.
Viele Besucher:innen blieben stehen, um die Botschaft zu lesen, sahen sich die dargestellten Argumente an und suchten das Gespräch. Dazu gab es reichlich Gelegenheit am Stand.

Großer gemeinsamer Auftritt
15 Mitaussteller waren diesmal am „Treffpunkt Bio-Züchtung“ vertreten: Neben Institutionen wie dem Dachverband Ökologische Pflanzenzüchtung in Deutschland e.V., dem Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL), der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) und dem Saatgutfonds präsentierten sich sechs verschiedene Bio-Züchtungsinitiativen aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Außerdem waren sechs Saatgutfirmen vertreten, die biologisches Saat- und Pflanzgut für Gemüse und Getreide herstellen und vertreiben.
Das Team von bioverita informierte über die Marktpartnerschaften mit Bio-Großhändlern und Direktvermarktungsbetrieben. Erstmals war der Stand durch drei Themeninseln gegliedert: Bio-Züchtung/Forschung, Saatguthandel und Marktpartnerschaften. „So können wir am Stand verschiedene Stufen der Wertschöpfungskette von Sorten aus Bio-Züchtung sichtbar machen“, freute sich Markus Johann, Geschäftsleiter von bioverita.

Anlaufpunkt für intensiven Austausch
Mehrere angemeldete Gruppen wie die Manager der Öko-Modellregionen in Bayern besuchten den Stand, organisiert durch die Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern e.V. (LVÖ) bzw. die LfL. Zudem konnten sich Besucher:innen der Messe spontan einem von sechs Rundgängen über den Messestand anschließen. Dabei stellten verschiedene Expert:innen ihren Bereich der Züchtung, des Saatguthandels oder der Vermarktung vor und standen für Fragen zur Verfügung. „Ein Format, das sich bewährt hat“, befand Charlotte Aichholz von der Sativa Rheinau AG, die im Rahmen mehrerer Rundgänge über ihre Züchtungsprojekte berichtete.
„Die Teilnehmer:innen konnten individuelle Fragen stellen, sodass ein sehr intensiver Austausch entstand“, fügte sie hinzu.
Die besondere Qualität von Sorten aus Bio-Züchtung sichtbar und fühlbar machen – wie geht das besser als mit Verkostungen? So konnte neben Äpfeln, Möhren, Kohlrabi, Pastinake und Rote Bete auch ein Brot am Stand probiert werden, das zu 70 % aus der Bio-Weizensorte Wiwa besteht.

Gentechnikfreiheit der Lebensmittelproduktion in Gefahr
Ein weiteres Thema war nicht nur am „Treffpunkt Bio-Züchtung“ präsent, sondern dominierte viele Gespräche auf der Biofach: die gefährdete Gentechnikfreiheit der Lebensmittelproduktion in Europa. Nur eine Woche vor der Messe (7.3.24) hatte die Europäische Kommission für die Deregulierung der Neuen Gentechniken (NGT) gestimmt. Demnach könnten zukünftig gentechnisch veränderte Pflanzen unangemeldet und ungeprüft angebaut werden. Das bisher geltende Vorsorgeprinzip und die Risikoprüfung wären damit ausgehebelt.
Der finale Schritt, die Zustimmung des EU-Ministerrats, steht noch aus und gilt – zum Glück – derzeit als unwahrscheinlich. Dennoch ist die Gefahr nicht gebannt. Der gentechnikfreie Anbau, wie ihn die Biolandwirtschaft betreibt, könnte in naher Zukunft unmöglich gemacht werden. Die biologischen Züchter:innen in Europa wären davon in besonderem Maße betroffen, weil der Zugang zu Züchtungsmaterial, das sicher frei von gentechnischer Veränderung ist, stark eingeschränkt würde.

Folgen der Deregulierung für die Biobranche
Im Rahmen des Biofach-Kongresses fand am 15.3.24 eine Veranstaltung des Bundesverbands Naturkost Naturwaren e.V. (BNN) statt zur „Folgenabschätzung von neuen genomischen Techniken für die Biobranche“. Darin fasste Martin Häusling (Landwirt und EU-Abgeordneter der Grünen/EFA) die Ergebnisse von Studien des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) und der Französischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (ANSES) zusammen: „Es wird immer wieder behauptet, NGT sei wie normale Züchtung. Doch die gentechnische Veränderung von Pflanzen birgt eine Gefahr für die Umwelt, für die Biodiversität und die menschliche Gesundheit.“
Mit Nachdruck vertrat er die Ansicht, dass es eine andere Landwirtschaft brauche, statt die Pflanzen zu verändern. Genau hier setzt auch die biologische Pflanzenzüchtung an. Barbara Maria Rudolf (Vorstandsmitglied Dachverband Ökologische Pflanzenzüchtung in Deutschland e.V. und Saat:gut e.V.) beschrieb in der Veranstaltung die biologische Pflanzenzüchtung als Gegenentwurf zur Gentechnik: „Es ist viel klüger, mit der Natur zu arbeiten und mit den Systemen der Natur. Wir [als biologische Züchter:innen] erlauben der Pflanze, ihren Zyklus zu durchleben, wir wollen sie nicht mit Gewalt gestalten. Die NGT geht in eine Sackgasse.“

Tolle Erfahrungswerte mit den Sorten aus Bio-Züchtung
Gleichzeitig erinnerte sie daran, dass die biologische Züchtung nach wie vor massiv unterfinanziert sei. Die Biobranche habe noch nicht verstanden, dass sie mehr Bio-Züchtung und mehr Bio-Sorten brauche, damit sich die Biolandwirtschaft unabhängig machen kann. „Sollte die katastrophale Gesetzgebung kommen, müssen dann alle plötzlich auf biologisch gezüchtete Sorten zurückgreifen. Dann werden wir ein Problem mit der Verfügbarkeit haben, die über Jahre nach und nach aufgebaut werden muss.“ Umso mehr machte Boris Voelkel Mut. Er saß ebenfalls auf dem Podium und berichtete von einer relevanten strategischen Entscheidung des Saftherstellers Voelkel.
Bereits vor zehn Jahren entschied die Firma, keine Hybridsorten mehr für die Produktion der Gemüsesäfte zu verwenden und stattdessen auf samenfeste Sorten zu setzen. Dabei waren zunächst viele der Anbauer:innen, aber auch Mitarbeiter:innen von Voelkel in Verarbeitung, Vertrieb und Marketing dagegen. Voelkel konstatierte, dass seitdem der Absatz der Säfte überproportional gewachsen sei und fügte hinzu: „Ich möchte allen Mut machen. Traut euch an die Sorten aus Öko-Züchtung ran. Sie haben eine hohe Vitalkraft und bringen viel tollere Eigenschaften mit. Die Qualität wird euch überzeugen!“

Ein kurzer Film gibt einen stimmungsvollen Eindruck vom „Treffpunkt Bio-Züchtung“:
Videozusammenfassung der genannten BNN-Veranstaltung (mit Dank an Karin Heinze)
Fotos: Foto 5 K. Heinze, Foto 6 J. Cammerer, Rest bioverita
Film: zum Treffpunkt Bio-Züchtung Leonard Osterhaus