Interview mit Markus Johann
Lieber Markus, nach rund einem halben Jahr bei bioverita weiß ich noch recht wenig über die Geschichte des Vereins. Vielleicht kannst Du anlässlich des Jubiläums Revue passieren lassen, wie sich bioverita in den letzten Jahren entwickelt hat.
Wie kam es zur Gründung von bioverita?
Peter Kunz von der Getreidezüchtung Peter Kunz (GZPK), Amadeus Zschunke von der Sativa Rheinau AG und ich waren im regelmäßigen Austausch. Die beiden waren selbst in die biologische Züchtung neuer Sorten involviert, der eine für Getreide, der andere für Gemüse, und hatten wiederum Kontakte zu Züchtern an anderen Standorten. Sie erfuhren hautnah, dass viel Aufwand in die alternative Züchtungsarbeit floss und es auch immer mehr verwendbare Sorten gab. Das bekam nur kaum jemand mit. Die Züchter*innen sind keine guten Selbstvermarkter … Unsere Idee war, dass sich ein Verein darum kümmern sollte, die Bio-Züchtung und die neuen Sorten bei Händler*innen, Ladner*innen und Verbraucher*innen bekannter zu machen. Gleichzeitig wollten wir für mehr Wertschätzung für die biologische Züchtung sorgen. 2010 haben wir uns deshalb zur Gründung des Vereins entschlossen. So richtig los ging es dann 2011.
Was stand zu Beginn im Mittelpunkt?
Anfangs haben wir uns viel mit der Frage beschäftigt, ob es Sinn macht, ein neues, zusätzliches Logo für die Bekanntmachung der Bio-Züchtung zu kreieren. Schließlich gibt es schon so einige Labels für den Biomarkt. Viele Kund*innen sind schon damit überfordert. In Begleitung einer professionellen Marketingagentur aus Basel haben wir uns dann ganz klar dafür entschieden und das Logo entwickelt.
Dann hat sich vermutlich bald der erste Vorstand formiert. Wer waren die Mitglieder?
Von den heutigen Mitgliedern Monika Messmer vom FIBL, Herman Lutke Schipholt, Vorstandsmitglied Demeter Schweiz, Amadeus Zschunke und ich. Dazu noch Christian Butscher als Vorstandsmitglied von Bio Suisse, der im letzten Jahr zurückgetreten ist. 2016 kam dann noch Arne von Schulz als Vertreter der Züchtungsinitiative Kultursaat e.V. dazu.
Gab es irgendwelche Unterstützung von außen?
Mit Bio Suisse hatten wir nach der Gründung einen längeren Austauschprozess, der zur Mitgliedschaft und einer jährlichen finanziellen Unterstützung führte. Außerdem konnten wir uns an einem Projekt des Bundesamtes für Landwirtschaft in der Schweiz beteiligen. Das brachte uns auch eine finanzielle Unterstützung.
Wer war noch unter den ersten Mitgliedern?
Auf der Züchterseite die Sativa Rheinau AG, die Getreidezüchtung Peter Kunz und Pomaculta. Vonseiten des Handels bzw. der Institutionen eben Bio Suisse, Demeter Schweiz, das FiBL, GenAuRheinau, Biotta und die Steiner Mühle. Weitere kamen dann 2014, `15 und `16 dazu.
Was waren dann die ersten Aktionen des Vereins?
Wir haben über lange Zeit erst einmal sehr viele Gespräche geführt. Die Skepsis uns gegenüber war groß: Noch ein Verein, noch ein Qualitätslabel? Das brauchen wir nicht! Da mussten wir schon ziemlich hartnäckig sein. Wir haben dann jede Möglichkeit genutzt, auf bioverita und die Bio-Züchtung aufmerksam zu machen. Beispielsweise indem wir an Veranstaltungen wie dem Bio-Ackerbautag oder der Aktion „1001 Gemüse“ teilgenommen haben. Außerdem waren wir natürlich bei den Fachtagungen von den Mitgliedern und Marktpartnern, wie beispielsweise den Partnertagen der Bio Partner AG, dabei. Dank der langjährigen Zusammenarbeit von Sativa und der GZPK mit dem Coop Fonds für Nachhaltigkeit, entstand auch eine Kooperation mit Coop und deren Tochter Swissmill in der Schweiz. Wir konnten arrangieren, dass ein Wochenbrot aus biologisch gezüchteten Weizensorten hergestellt wurde, das sogenannte Bio Buure-Brot. Darüber gab es einige Berichte, außerdem war das Brot bei den Kund*innen sehr beliebt. Deshalb ging es dann in das feste Sortiment über und wird bis heute an ca. 800 Verkaufsstellen in der ganzen Schweiz verkauft. Das war ein schöner Erfolg für uns!
Wie ging es dann weiter?
Im Juli 2016 durften wir an einer Reise nach Italien teilnehmen, die von Sativa und BioTropic organisiert wurde. Dabei waren auch einige Bio-Großhändler aus Deutschland. Wir wollten ihnen die Möglichkeit geben, sich vor Ort den Anbau, die Vermehrung sowie die Aufbereitung biologisch gezüchteter Sorten anzusehen und dabei einige Anbauer*innen persönlich kennenzulernen. Es ging beispielsweise um Kohlrabi, der für den deutschen Markt vielfach in Italien angebaut wird. Bei den Fahrten im Kleinbus sowie den gemeinsamen Pausen fanden viele Gespräche statt. In kurzer Zeit war das Verständnis der Großhändler für die Bio-Züchtung sowie das Interesse an den samenfesten Sorten für die Vermarktung merklich gestiegen.
Wie kam es zu der Sonderausstellung „Treffpunkt Bio von Anfang an“ auf der Biofach?
Ich erinnere mich noch, dass wir durch Vermittlung von Meinrad Schmitt, Terra Berlin, der damals im Messebeitrat der Biofach war, in Kontakt mit der Messeleitung kamen. Das Jahr 2017 war danach von intensiven Gesprächen mit der Messeleitung der Biofach geprägt. Unsere Ansprechpartnerinnen, Danila Brunner und Julia Hossfeld, hatten verstanden, dass die Bio-Züchtung die Grundlage bildet für eine unabhängige Bio-Landwirtschaft. Wir durften daher für die Biofach 2018 eine große Sonderausstellung konzipieren, die auf Themensäulen verschiedene Bereiche der Bio-Züchtung anschaulich erläutert hat. Hier war das Thema erstmals richtig präsent – im Eingangsbereich der wichtigsten Messe der Biobranche mit über 50.000 Besucher*innen aus der ganzen Welt! Passend zur Ausstellung haben wir auch viele Vorträge und Podiumsdiskussion zum Thema organisiert, die teilweise hochkarätig besetzt waren. Insgesamt hat das dem Thema einen großen Schub gegeben und uns viele weitere Kontakte gebracht. Für die Organisation der Ausstellung haben wir übrigens auch Anna-Lena May als Mitarbeiterin gewinnen können. Sie betreut bis heute viele der Projektpartnerschaften. 2019 konnten wir die Ausstellung an derselben Stelle wiederholen. Die beiden Sonderausstellungen waren für uns nur dank dem Mittragen durch die Messeleitung der Biofach sowie finanzieller Unterstützung von Stiftungen und Partnerinstitutionen möglich. Weil Sonderausstellungen maximal zweimal stattfinden können, mussten wir für 2020 alternative Möglichkeiten finden. In enger Kooperation mit der Messeleitung mündete dies im „Treffpunkt Bio-Züchtung“. Hier konnten wir auf immerhin noch 150 m2 zwölf verschiedene Züchter*innen, Züchtungsinitiativen und einige Marktpartner*innen mit Infoständen versammeln. 2022, wenn die Pandemie uns nicht mehr bestimmt, wollen wir Ähnliches wieder machen.
bioverita zertifiziert neue Getreide- und Gemüsesorten. Was waren die ersten Sorten?
Am Anfang standen Getreidesorten im Mittelpunkt. 2013 wurden die ersten neuen Weizen- und Dinkelsorten der GZPK anerkannt. 2017 folgten dann Sorten von der F&Z Dottenfelderhof sowie vom Keyserlingk Institut. Erste Gemüsesorten von Kultursaat e.V. und Saat:gut e.V wurden ebenfalls 2017 anerkannt. Mit den Sonderausstellungen auf der Biofach hat das Gemüse insgesamt eine höhere Priorität bekommen. Inzwischen haben wir ja 120 Gemüse- und 36 Getreide- und Futterpflanzen zertifiziert. Jedes Jahr kommen weitere hinzu.
Für die Zertifizierung gibt es die Audit-Richtlinien, die man auf der bioverita-Website einsehen kann. Wer hat diese entwickelt?
Der Vorstand in Absprache mit der Label Kommission.
Wer gehört zur Labelkommission?
Edith Lammerts van Bueren, Wageningen University (NL), Monika Messmer, Leitung Pflanzenzüchtung FiBL (CH), Amadeus Zschunke, Bio-Züchter, Sativa (CH), Willmar Leiser, Agrarwissenschaftler, Uni Hohenheim (D), Jan Velema, Bio-Züchter (NL).
Wie viel Gemüse und Getreide aus biologischer Züchtung ist inzwischen im Handel?
Das ist wirklich schwer zu sagen, da es keine statistische Erhebung darüber gibt. Von unseren Partner*innen, mit denen wir eine Nutzungsvereinbarung geschlossen haben, erfahren wir, wie viele Tonnen Gemüse oder Getreide einer Sorte angebaut bzw. verkauft werden. Im Winter-Anbaujahr 2019/20 Jahren waren es sicher insgesamt mehr als 500 Tonnen Gemüse. Wir wissen, dass darüber hinaus immer mehr der Sorten angebaut werden. Das ist natürlich sehr erfreulich, aber ohne direkten Kontakt und die Nutzungsvereinbarung für die Verwendung des bioverita-Logos fehlen uns die Mengeninformationen.
Für die Schweiz kann ich folgendes sagen: Allein für das Brotprojekt mit Coop werden jährlich zwischen 1500 und 2000 Tonnen Weizen und Dinkel aus biologischer Züchtung verarbeitet. Dinkel macht dabei ca. 10% aus. Allgemein gesehen machen die Sorten der GZPK im schweizerischen Brotgetreideanbau im Biobereich ca. 60% aus. Für Deutschland können wir keine umfassende Aussage machen, aber wir wissen, dass die Getreidesorten aus der Bio-Züchtung vor allem im süddeutschen Raum sehr häufig angebaut werden. Beispielsweise gibt es Bioland-Erzeuergemeinschaften, die heute fast ausschließlich auf Sorten aus der Bio-Züchtung setzen. Die Bioland Handelsgesellschaft Baden-Württemberg baut das Saatgutsortiment mit Sorten aus der Bio-Züchtung laufend aus. Auch Verarbeiter wie beispielsweise die Meyer Mühle Landshut übernehmen und verarbeiten immer mehr Sorten aus der Bio-Züchtung.
Jetzt habe ich einiges über die vergangenen zehn Jahre erfahren. Was sind die Ziele von bioverita für die kommenden zehn Jahre?
Du bist Mitte 2020 als verantwortliche Mitarbeiterin für unsere Kommunikation ins Team gekommen. Damit können wir unsere Kommunikationsaktivitäten weiter ausbauen. Das soll auch so weitergehen. Zudem möchten wir weitere Großhändler für eine Zusammenarbeit als Marktpartner gewinnen. Mit der Präsenz auf der Biofach sowie an weiteren Fachanlässen, wollen wir weitere Stakeholder für die Bio-Züchtung sensibilisieren und begeistern. Wir wollen, dass Sorten aus der Bio-Züchtung immer häufiger angebaut und weiterverarbeitet werden. Die Sorten aus der Bio-Züchtung sollen entlang der Bio-Wertschöpfungskette immer mehr zur Selbstverständlichkeit werden. In 20 Jahren sollten ausschließlich diese Sorten angebaut und verwendet werden.
Das Interview führte Justine Lipke, zuständig für Kommunikation bei bioverita, mit Markus Johann, Geschäftsleiter und Delegierter des bioverita-Vorstands.
Fotonachweis
Kerzen: pixabay; Fotos der Biofach 2018: Thomas Geiger, NürnbergMesse; Weizen Tengri: GZPK; Handelsfoto: Rinklin Naturkost; Rest: bioverita