Pflanzenzüchtung bedeutet Vielfalt

Züchterporträt Friedemann Ebner

Spricht man mit Friedemann Ebner, Jahrgang 1958, wird einem rasch klar, was mit der Vielfalt in der Züchtung gemeint ist – so schnell, überschwänglich und begeistert berichtet er von seinen Projekten. Es sind nicht nur die unterschiedlichen Gemüsekulturen, mit denen er sich im Laufe seiner vielen Berufsjahre beschäftigt hat.

Es sind auch die vielfältigen Aspekte und Tätigkeitsfelder eines Züchters, die sein Metier so interessant machen: der tägliche Umgang mit den Pflanzen, die praktischen Herausforderungen des Pflanzen- und Samenbaus, aber auch die Auseinandersetzung mit den Handelsstrukturen und Bedürfnissen der Verbraucher*innen, und, nicht zuletzt, die Freude am leckeren Gemüse auf dem Teller.

Porträt Friedemann Ebner

Der Weg zur Züchtung

Was ihn zur Züchtung gebracht hat? Eine inspirierende Vorlesungsreihe zu angewandter Genetik und Pflanzenzüchtung an der Universität Hannover gab den Anstoß, ein Praxissemester lang bei einer Saatgutfirma zu arbeiten. Dort wiederum entstand die Begeisterung für Saatgut. Nach dem Gartenbaudiplom war Friedemann Ebner erst als Samenbauer und Gärtner, dann als Züchter bei der Firma Hild Samen in Marbach tätig.

2003 stieg er in die biologisch-dynamische Züchtung bei der Sativa Rheinau GmbH ein, heute Sativa Rheinau AG. Das damals noch sehr kleine Unternehmen hat Ebner über die Jahre infrastrukturell, methodisch und personell stark mitgeprägt. Im Oktober 2020 wird er hier Abschied feiern und sich für einige Zeit in Afrika in die Entwicklungszusammenarbeit einbringen. Anlass also für eine Rückschau auf sein züchterisches Schaffen hierzulande.

Ackerfläche von Sativa bei Kloster Rheinau

Idealistischer Start bei Sativa

In den Arten zu züchten, wo es zu wenig Alternativen zu Hybridsorten gibt – das war die klare Priorität bei seinem Einstieg 2003 bei der Sativa GmbH. Und das mithilfe einfacher „handwerklicher“ Populationszüchtung im Unterschied zur wissenschaftsgetriebenen, durch Labormethoden unterstützten Pflanzenzüchtung. Die steigende Abhängigkeit des Biolandbaus von konventionellem Saatgut einiger weniger Großkonzerne sollte damit aufgehalten werden. Mit den drei Zuckermaissorten Damaun, Mezdi und Tramunt brachte die Sativa Rheinau AG bereits 2013 die ersten nachbaufähigen Sorten im handelsfähigen Typ extrasüß auf den europäischen Markt.

Die Hoffnung, der damals 100%-igen Hybridendominanz etwas entgegen zu setzen, hat sich zumindest für kleinere und mittlere Anbaubetriebe erfüllt. Dieser erste Erfolg hat Ebner persönlich, aber auch der Sativa Rheinau AG insgesamt, viel Schub gegeben. Aufgrund äußerer Heterogenitäten, z.B. des Fahnenbaus, sind die drei Sorten nur als sogenannte Amateursorten zugelassen. Was zunächst wie ein Nachteil klingt, hat die normalerweise mindestens zweijährige Prüfung des Sortenamtes verkürzt und zieht letztlich nur eine Beschränkung der erlaubten Verpackungsgrößen beim Vertrieb nach sich.

Kolben der drei Zuckermaissorten Damaun, Mezdi und Tramunt, die sich vor allem in ihrer Reifedauer unterscheiden.

Steigender Druck durch CMS-Hybriden

Großen Bedarf für Sorten aus biodynamischer Züchtung sah man 2007 auch bei Kohlrabi. In Deutschland, aber auch In Italien, wo ein Großteil des Kohlrabis für den deutschen Markt angebaut wird, wurden klassische Hybridsorten zunehmend durch die im Biolandbau verbotenen CMS-Hybriden ersetzt.

Es bedurfte also dringend eigener Sorten aus biodynamischer Züchtung. Mit den Sorten Enrico und Dario, die 2019 vom Bundessortenamt zugelassen wurden, gibt es sie nun. Die Anbauversuche hat Ebner selbst begleitet und kann sich jetzt über wachsenden Absatz freuen.

F. Ebner bei der Kohlrabi-Selektion

Gutes Wachstum und guter Geschmack müssen sich ergänzen

Resultat eines weiteren Züchtungsschwerpunkts ist die Möhre Dolciva im Typ Nantaise, die 2015 zugelassen wurde. Sie ist sehr vielseitig einsetzbar, da sie sich sowohl als Frisch-, Wasch- und Lagermöhre eignet und eine gute Alternaria-Toleranz aufweist. Zudem ist sie aufgrund einer guten Ausgewogenheit von Süße und Aroma auch geschmacklich besonders zu empfehlen. Ergänzt wird die Dolciva um zwei etwas spätere Sorten mit bester Eignung auch für industrielle Verarbeitung.

Überhaupt zählt Ebner den guten Geschmack zu den wichtigsten Züchtungszielen, egal um welche Kultur es geht. Er zitiert einen früheren Züchtungsleiter aus dem konventionellen Bereich, der das Züchten auf Geschmack für überflüssig hielt, weil es nicht bezahlt würde. Stattdessen standen damals Uniformität und Ertrag an erster Stelle. Das ist heute anders, betont Ebner. Besonders in der Bio-Züchtung ist der gute Geschmack ebenso wichtig wie gutes Wachstum.

Friedemann Ebner mit Eva Zand bei der Möhrenernte

Das Ursprüngliche wiederentdecken

Über guten Geschmack lässt sich bekanntlich aber streiten. Ebner nennt in dem Zusammenhang die Knollenselleriesorten Athos und Porthos, die gerade im zweiten Prüfungsjahr stehen, sowie Aramis, eine dritte Sorte, die kurz vor der Anmeldung steht. Alle drei Sorten aus Ebners Züchtung weisen einen starken Selleriegeschmack auf, ausgeprägter als bei allen anderen derzeit im Bio-Anbau gängigen Sorten. Ungewohnt also für manch einen, der sich an die milden Selleriesorten gewöhnt hat.

Porthos und Aramis weisen aber nicht nur eine hohe Resistenz gegen Sellerierost auf, sondern gefallen besonders auch Kunden, die den alten Selleriegeschmack schätzen. Darunter auch Kunden in der Essenzen- und Kosmetikindustrie. Diese verwenden die speziellen hochmolekularen Stoffe (u.a. Phenole), die in der beigen Maserung des Knollenselleries stecken, als Aromastoffe in ihren Produkten.

Links eine Selleriesorte von Sativa, rechts eine Sorte für die Konservenindustrie, die kaum Aroma mehr aufweist.

Ein runder Abschluss

Gut 16 Jahre also nach Ebners Start bei der Sativa Rheinau beschließt er seine Arbeit diesen Herbst mit den Anmeldungen der Selleriesorte Aramis, der Kohlrabisorte Boccia und zwei Zwiebelsorten. Diese vier gesellen sich zu mehr als 20 weiteren Neuzüchtungen aus seiner Arbeit, die sich im Verkauf befinden. Sie sind Meilensteine auf dem Weg zu einer größeren Vielfalt von biologisch gezüchteten Sorten.

Sein Wissen und seine Begeisterung hat Ebner, auch als Mitglied im Züchternetzwerk Kultursaat e.V., inzwischen an viele jüngere Kolleginnen und Kollegen weitergegeben. Inzwischen umfasst das Züchtungsteam fünf Personen. Sie arbeiten weiter daran, dem biologischen Land- und Gartenbau in Zukunft ein möglichst vollständiges Sortiment von nachbaufähigen Profisorten zur Verfügung zu stellen.

Das Züchtungsteam der Sativa Rheinau AG: Eva Zand, Fadi Kanso, Friedemann Ebner, Charlotte Aichholz, Noémi Uehlinger

Text: Justine Lipke
Fotos: Sativa Rheinau AG