Neues Mitglied apfel:gut e.V.

apfel:gut wurde 2011 zunächst als Projekt unter dem Dach des Saat:gut e.V.s gegründet, der ebenfalls bioverita-Mitglied ist und seit vielen Jahren Gemüsezüchtung betreibt. Im Arbeitskreis Ökologische Obstzüchtung der FÖKO (Fördergemeinschaft ökologischer Obstbau e.V.) entstand der Entschluss, die biologische Kernobstzüchtung wieder zurück auf die Höfe zu holen. Die Mitglieder wollten die Züchtung wieder selbst in die Hand nehmen, anstatt sie Laboren zu überlassen.

Auslöser war die Ankündigung von Unternehmen, Äpfel mittels gentechnischer Eingriffe resistenter zu machen. Einige motivierte Obstbauer:innen schlossen sich daraufhin zusammen, um neue robuste Sorten zu züchten. Diese sollten gezielt an die Bedingungen des biologischen Obstbaus angepasst sein, fußend auf der breiten genetischen Basis alter und besonderer Sorten.

Das Logo von apfel:gut e.V.

Anforderungen an neue Sorten

Bei den Neuzüchtungen geht es besonders um die Robustheit gegenüber Krankheiten und tierischen Schädlingen, aber auch die besonderen Anforderungen an die Kulturführung wie Wuchsstärke, Frosttoleranz der Blüten und die Ertragsstabilität sind wichtige Kriterien. „Gängige Apfelsorten wie ‚Elstar‘, ‚Gala‘ und ‚Jonagold‘, aber auch die Sorten ‚Topaz‘ und ‚Santana‘, die längere Zeit als schorfresistent galten, sind inzwischen anfällig für den Schorfpilz und andere Pilzkrankheiten.

Das liegt daran, dass bei ihrer Züchtung die Gesundheit der Bäume nicht im Fokus stand. Zudem wurde bei den neueren Sorten nur auf monogene Resistenzen gesetzt“, berichtet Inde Sattler, Obstbäuerin, Züchterin und Vorstandsvorsitzende im Verein. „Wir arbeiten mit der ganzen Pflanze, so können wir die Interaktion unserer Sämlinge mit der Umwelt in den Züchtungsprozess mit einbeziehen“, ergänzt Johannes Rottmann aus dem Züchtungsteam.

Apfel mit Schorfbefall

Dezentrale Züchtung

Der Verein betreut inzwischen zehn Zuchtgärten an verschiedenen Standorten auf Bioland- und Demeter-Obstbetrieben in Deutschland: in Hollingstedt, Finkenwerder und Jork, Bielefeld, Wesel am Niederrhein, Westen an der Aller, Frankfurt/Oder, Kassel und im Stuttgarter Raum in Backnang und Wolpertshausen. So können vielversprechende Kreuzungen unter unterschiedlichen klimatischen Bedingungen auf ihre Wuchs- und Fruchteigenschaften sowie ihre Robustheit hin untersucht werden.

„Der Schorfdruck kann in Hollingstedt zum Beispiel groß sein, in Backnang dagegen eher gering. Beim Mehltau kann es im selben Jahr genau andersherum sein“, berichtet Rottmann. Er ist einer von den 12 Aktiven des Vereins, der als mobiler Züchter neben einem Pomologen und zwei Obstbauberatern im Team mit den jeweiligen Betriebsleiter:innen der Obstbaubetriebe vor Ort arbeitet.

Das Züchtungsteam vom Apfel:gut e.V.

Alte Sorten als genetische Ressource

Die biologischen Züchter:innen wenden die klassische Kreuzung an. Dabei wird meist nach dem Schema alte x neue Sorten durch Handbestäubung an der Blüte gekreuzt, außerdem nach dem Phänotyp selektiert, also nach dem äußeren Erscheinungsbild der Pflanze. Eingriffe in die DNA oder den Zellkern der Pflanze finden selbstverständlich nicht statt.

Züchter Niklas Oeser war dieses Frühjahr zum Beispiel in Bielefeld, um Kreuzungen vorzunehmen. Im Obstarboretum Olderdissen wachsen rund 300 alte Obstsorten. „Das ist eine riesige Genressource, die wertvolle Ergänzung für Neuzüchtungen sein kann“, erklärt Oeser.

Handbestäubung von Apfelblüten

Wie eine neue Sorte entsteht

Die Züchtung einer neuen Obstsorte dauert etwa 20 Jahre: Jedes Frühjahr sät der Verein zwischen ein- und dreitausend Kerne aus, die aus Früchten der Kreuzungen im Vorjahr gewonnen wurden. Bei den Sämlingen, die daraus wachsen, wird von Beginn an die Baum- und Blattgesundheit beobachtet und dokumentiert. Zwischen dem 5. und 8. Jahr bildet ein Bäumchen erste Blüten. In dieser Phase sind Blühzeitpunkt, -stärke und -regelmäßigkeit neben der Gesundheit wichtige Auswahlkriterien in Bezug auf die Ertragssicherheit für den Anbau.

Verspricht ein Baum nach dieser Zeit Potenzial, werden Edelreiser genommen. Diese werden auf praxisübliche (meist schwachwachsende) Unterlagen veredelt, die für ein einheitliches und produktives Wachstum im großflächigeren Anbau sorgen. „Anschließend beobachten wir die Bäume weiter über mehrere Jahre: Trägt der Baum jedes Jahr eine gleichmäßige Zahl an Früchten, bewährt er sich bei den Fruchtverkostungen der Sortenprüfer:innen und/oder im Naturkosthandel, dann ist eine Sorte für den Erwerbsobstbau geeignet“, fasst Züchterin Sattler die Hürden zusammen.

Frischgepflanzter Apfelsämling

Geschmacksüberraschung

Letztes Jahr stach bei der Geschmacksverkostung eine Kreuzung der alten Sorte ‚Seestermüher Zitronenapfel‘ mit der Sorte ‚Natyra‘ positiv hervor. Im Winter wurden daraufhin Reiser genommen, die auf 30 Bäume veredelt wurden. In zwei Jahren sollen die Bäume dann auf die verschiedenen Standorte verteilt werden. Dann rücken neben der Gesundheit die Erntemenge und die Fruchtqualität inklusive der Lagerfähigkeit als Kriterien in den Vordergrund. Eine erste Sorte hat apfel:gut e.V. schon als Amateursorte beim Bundessortenamt angemeldet: ‚Wanja‘. Diese pilzrobuste Sorte ist frei verfügbar und für den privaten Anbau gut geeignet.

Wanja ist gelbgrün mit rötlicher Wange und berostet – ein aromatischer Apfel, der wir eine alte Sorte daherkommt. „Hausgärtner:innen können den Herbstapfel ‚Wanja‘ bereits bei ersten Baumschulen beziehen“, berichtet Sattler. Eine weitere Sorte mit dem Arbeitstitel ‚Wega‘ steht in größerer Stückzahl zur Prüfung im Alten Land und in Hollingstedt. Dort wird sie auf dauerhaften Ertrag, Lagerfähigkeit, Gesundheit und Frostwiderstandsfähigkeit während der Blüte geprüft. Gleiches gilt auch für die Birne mit der vorläufigen Bezeichnung `B30`.

Herbstapfel ‚Wanja‘

Ausblick

Vermutlich wird es noch ein paar Jahre dauern bis zur Anmeldung einer weiteren Sorte. Diese könnte dann die erste bioverita-zertifizierte Obstsorte aus biologischer Obstzüchtung sein. „Aber wir sind jetzt schon sehr stolz, wie weit wir mit unserem partizipativem Züchtungsansatz gekommen sind, der die Erwerbsobstbetrieben schon früh mit einbezieht“, freut sich Sattler.

„Wenn es soweit ist, werden wir zusammen mit bioverita die neue Sorte Stück für Stück in die Vermarktung bringen.“

Birne `B30`

Fotos: Apfel:gut e.V.