Ein Unding, dass Konzerne uns unser Essen diktieren wollen!

Porträt von Züchter Karsten Ellenberg

„Speckig, erdig, kräftig, buttrig, nussig, lieblich, herzhaft – Kartoffeln können unglaublich unterschiedlich schmecken“, schwärmt Karsten Ellenberg (Jg. 1962). Ellenberg ist mit dem Kartoffelanbau groß geworden und noch immer, oder gerade deshalb, großer Kartoffelliebhaber. Mit seiner Frau Petra und den Söhnen Hannes und Julius bewirtschaftet er den Biolandhof „Ellenbergs Kartoffelvielfalt“ in Barum in der Lüneburger Heide. Eindrucksvolle Backsteingebäude, z.T. aus dem 19. Jahrhundert, gruppieren sich um einen großen Hof mit einer imponierenden alten Kastanie in der Mitte.

Zum Betrieb gehören 220 Hektar Ackerfläche, angebaut wird neben Getreide eine breite Palette an Speise- und Saatkartoffeln. Circa 100 verschiedene Kartoffelsorten baut der Hof jährlich an. Etwa 40 davon gehen als Speisekartoffeln an den Biogroßhandel und an Kund:innen, die im Hofladen oder übers Internet einkaufen. Der Rest wird als Saatkartoffeln an Erwerbsanbau und Hobbygärtner:innen verkauft oder ist Teil der eigenen Züchtungsprojekte.

Porträt Karsten Ellenberg
Porträt Karsten Ellenberg

Der Weg zur Züchtung

Ellenberg hat den Kartoffelanbau von seinem Vater gelernt. Bereits als Kind erntete er seine eigenen Knollen im Garten, erzählt er. 1984 stieg er in den elterlichen Betrieb ein, 1990 stellte er den Hof auf Bio um. Mitte der 1990er-Jahre erfährt er über einen Freund von der Kartoffelgenbank in Groß Lüsewitz. Dort lernt er Kartoffeln mit ganz unterschiedlichen Farben und Geschmäckern kennen.

„Obwohl ich mit dem Kartoffelanbau aufgewachsen war, hatte ich bis dahin keine blau- oder rotfleischigen Kartoffeln gesehen. Ich war erstaunt! Heute weiß ich, die farbigen Kartoffeln sind durch ihre Farbstoffe rein physiologisch gesünder und natürlich sieht das Essen vielfältiger aus“, berichtet Ellenberg.

Logo Ellenberg`s Kartoffelvielfalt
Logo

Engagement für die Erhaltungszüchtung

Konrad Schüler, der damalige Genbankleiter von Gatersleben, animierte den Landwirt, verschiedene alte Sorten im Anbau auszuprobieren. Das tat Ellenberg und suchte die Sorten mit dem besten Geschmack aus, um sie zu vermehren. Alte, vom Markt verschwundene Sorten wie Ackersegen oder Bamberger Hörnchen machte er wieder verfügbar, indem er sie beim Bundessortenamt als Erhaltungssorten anmeldete. Selbst die Bamberger entdeckten „ihre“ Kartoffelsorte erst daraufhin wieder neu. Auch für den Erhalt der bewährten Sorte Linda hat sich Ellenberg jahrelang stark gemacht.

Das Züchtungsunternehmen Europlant hatte 2004, kurz vor Ablauf der Sortenschutzzeit (für Kartoffeln sind dies 30 Jahre) die Zulassung für Linda zurückgezogen. Damit war es Landwirt:innen nicht mehr erlaubt, die Sorte als Pflanzkartoffel weiter zu vermehren. „Ein Unding, dass ein Konzern diktieren will, was auf unsere Teller kommt“, ärgert sich Ellenberg. Ein eigens gegründeter Linda-Freundeskreis, unterstützt von der bundesweiten Initiative „Rettet Linda“, strengte einen Rechtsstreit an – und gewann 2010 mit der erfolgreichen Wieder-Anmeldung der Sorte beim Bundessortenamt.

Aufkleber Rettet Linda
Aufkleber „Rettet Linda“

Wildkartoffeln als genetische Quelle

„Die langwierige Auseinandersetzung zu Linda machte die Abhängigkeit von großen Züchtungsunternehmen besonders deutlich. Aber schon in den 90er-Jahren störte mich, dass in der konventionellen Kartoffelzüchtung immer mehr gentechnische Verfahren angewendet wurden. Für mich und den Biolandbau allgemein, ist es wichtig, uns durch eigene Züchtungen unabhängig zu machen“, fasst der kämpferische Landwirt zusammen. Inspiriert durch die Anbauerfahrungen mit den vielfältigen Sorten aus der Genbank, begann Ellenberg 1997 selbst zu züchten.

Er kreuzte alte Sorten und Wildkartoffelarten aus Südamerika mit neuen Sorten durch Blütenbestäubung. „Wildkartoffelarten sind züchterisch unbearbeitet. Sie haben oft natürliche Resistenzen gegen die typischen Kartoffelkrankheiten und bringen eine große genetische Vielfalt mit sich. Ihre Eigenschaften will ich mit denen der modernen, ertragreichen Kartoffelsorten ergänzen“, erzählt der Züchter.

Karsten Ellenberg bei der Bestäubung

Forschungsprojekt Krautfäuleresistenz

Ab 2008 begleitete für fünf Jahre ein Forschungsprojekt zusammen mit der Bundesanstalt für Züchtungsforschung die züchterischen Überlegungen. Das Projekt untersuchte die Krautfäuleresistenz durch das Einkreuzen von Wildsorten. Theorie und Praxis ergänzten sich, der Plan ging auf. Ellenberg kreuzte eine alten Landsorte mit sehr gutem Geschmack mit einer neueren Sorte, die viele Resistenzen aufweist. So war 2006 Ellenbergs erste vitale Sorte Emma geboren.

Parallel entstand ein weiterer Zuchtstamm durch Kreuzung einer peruanischen Landsorte mit einer rotfleischigen Landsorte aus Schottland. Aus Kreuzungen dieses neuen Zuchtstamms mit Emma ergaben sich verschiedene neue Stämme, die sehr interessante waren. Daraus entstanden sind z.B. die neuen Sorten Violetta und Rote Emmalie (beide 2012 zugelassen).

Rote Emmalie Violetta
Rote Emmalie, Violetta

Neue Sorten für die Vielfalt

Sie sind eng verwandt miteinander, quasi Geschwister, und doch sehr unterschiedlich“, erläutert Ellenberg. Violetta hat eine dunkelblaue Schale und lila Fleisch, Rote Emmalie hat dunkleres rotes Fleisch und eine dunkelrote Schale. Rote Emmalie ist die erste in Deutschland gezüchtete rotfleischige Kartoffel und wurde 2018 zur Kartoffel des Jahres gekürt. „Das ist unsere wichtigste Sorte“, berichtet Ellenberg.

„Sie ist nicht nur schön und schmackhaft, sondern auch vielseitig verwendbar. Das Pflanzgut handeln wir europaweit.“ Die Züchtung ging weiter. 2017, 2018 und 2020 wurden drei weitere Sorten angemeldet: Heiderot, eine rotfleischige, Blaue Anneliese, eine späte Sorte, die innen und außen blau ist, und Heidemarie, eine mittelfrühe gelbe. Die neu gezüchteten Sorten sind allesamt bioverita-zertifiziert.

Heiderot, Blaue Anneliese, Heidemarie
Heiderot, Blaue Anneliese, Heidemarie

Eine eigene Genbank

Ellenberg sieht sich als Bauer nicht zuletzt in der Rolle des Pflanzenbeobachters. „Während des Züchtungsprozesses sehe ich bei den Pflanzen etwas, das gut sein könnte. Daran arbeite ich weiter. Ich möchte die Vielfalt im Kartoffelanbau erhöhen und dabei gleichzeitig eine größere Unabhängigkeit schaffen; für mich als Landwirt, aber auch für den Biolandbau allgemein. Natürlich sollen die neuen Sorten aus Bio-Züchtung mit denen aus konventioneller Züchtung konkurrieren können.

Hier haben wir schon viel erreicht“, findet Ellenberg. Im Laufe der Zeit hat sich der Züchter eine eigene Genbank aufgebaut. Etwa 100 Kartoffelsorten wachsen in seinem Labor unter sterilen Bedingungen in einer Nährlösung. Die Pflänzchen zieht der Züchter aus Samen, die in der Kartoffelbeere, ähnlich einer Tomate wachsen.

Kartoffelbeere
Kartoffelbeere

Kartoffelkrankheiten

Ausgepflanzt in kleine Töpfe, wächst dann die erste Knollengeneration in der geschützten Umgebung eines Gewächshauses heran, die sog. Minituber. Dies ist der erstn Vermehrungsschritt nach der Blütenkreuzung verschiedener Linien oder Sorten. Im Labor werden mehrere Generationen einer Züchtungslinie über eine längere Zeit verfügbar gehalten, um ggf. auch mal einen Schritt zurückzugehen. In der Genbank finden sich nicht nur Setzlinge der Züchtungslinien, sondern auch der Erhaltungssorten.

Da Kartoffeln einer Vielzahl von Krankheiten ausgesetzt sind, die sich von Generation zu Generation übertragen, unterliegt die Vermehrung des Pflanzgutes strengen Regeln und wird behördlich kontrolliert. Wenn der Krankheitsdruck bei den Knollen zu groß wird, kann Ellenberg jederzeit mit gesunden Pflanzen aus der Genbank neue, gesunde Knollen schaffen.

Kartoffelsetzlinge in Nährflüssigkeit

Kundenbedürfnisse

„Wie wir arbeiten, ist aufwändig, aber es macht Spaß. Unsere Unabhängigkeit von den Großen und das breite Sortenspektrum haben gleichzeitig einen Marketing-Effekt, den unsere Kunden sehr schätzen“, schließt der Züchter zufrieden.

Kartoffelsack mit verschiedenen Sorten

Fotonachweis: Foto 4 und Kartoffelsorten Ellenbergs Kartoffelvielfalt, Rest bioverita