Interview mit Anna-Lena May, bioverita
Seit zehn Jahren setzt sich der Verein bioverita dafür ein, die Wertschätzung für die biologische Züchtungsarbeit zu erhöhen und Sorten aus biologischer Züchtung bekannter zu machen. Anna-Lena May von bioverita Deutschland erzählt im Interview, warum die Aufklärungsarbeit auch bei etablierten Biobäuerinnen und -bauern wichtig ist, und wie sie sich für die Unabhängigkeit von Biolandwirtschaft und -Handel einsetzt.
Aber bedeutet nicht „bio“ gleichzeitig, dass von Beginn an ökologisch gearbeitet wurde?
Leider nein. Laut der EU-Bio-Verordnung muss bei der Erzeugung von Bio-Gemüse Saatgut aus biologischer Vermehrung verwendet werden. Vorgeschrieben ist aber nicht, dass das Saatgut aus biologischer Züchtung stammen muss. In der Praxis werden daher konventionelle Sorten eine Saison lang auf einem Biobetrieb vermehrt und das Saatgut darf dann für die Bio-Produktion verwendet werden. Wenn Bio auf Saatgut konventioneller Herkunft setzt, wird die Weiterentwicklung des Bio-Landbaus erschwert und auch die Bio-Landwirte geraten immer mehr in die Abhängigkeit von großen, konventionellen Firmen. Zumal sich 2018 die größten Saatgutkonzerne zu drei Firmen ‚großgeschrumpft‘ haben. Seitdem kontrollieren Bayer/Monsanto, DuPont/Dow und ChemChina/Syngenta über 60 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes. Bei dem Saatgut dieser Konzerne handelt es sich oft um Hybrid-Sorten. Diese sind nicht nachbaufähig und bringen die Bauern indirekt in ein ungewolltes Abhängigkeitsverhältnis. Auch Biobäuerinnen und -bauern erhöhen durch Lizenzabgaben die Umsatzzahlen von Bayer und Co. Deshalb wollen wir mit biologisch gezüchteten Sorten den Biolandwirt*innen helfen, sich von der konventionellen Züchtung zu lösen.
Sind sich die Bäuerinnen und Bauern dessen bewusst?
Die Biobranche hat die Saatgut-Frage lange verschlafen und wacht jetzt erst auf. In unseren Gesprächen merken wir oft Betroffenheit und dass sowohl Landwirt*innen, Händler*innen und Verbraucher*innen überrascht sind, dass das Saatgut, welches sie anbauen bzw. im Endprodukt verzehren keinen biologischen Ursprung hat. Deshalb auch unser Slogan: „Bio von Anfang an. Von der Züchtung bis zum Endprodukt.“ Das wollen wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette kommunizieren. Deshalb heißt auch ein großer Teil unserer täglichen Arbeit Aufklärung. Wir wollen die biologische Züchtung bekannt machen und damit die kleinen, gemeinnützigen und vor allem unabhängigen Züchtungsinitiativen, wie etwa Kultursaat e.V. und Saatgut e.V. unterstützen.
Wie funktionierte denn früher die Saatgutzüchtung?
Die Züchtung von Kulturpflanzen ist schon über 10.000 Jahre alt. Damals haben die Bäuerinnen und Bauern das natürlich selbst übernommen, doch haben sie leider irgendwann ihre Züchtungskompetenz den Saatgutfirmen überlassen.
So wuchsen die Konzerne und so schrumpfte das Wissen bei den Landwirt*innen.
Früher gab es sogar den Beruf des Samenbauers. Dieser wurde aber schon vor über 20 Jahren als Ausbildungsberuf aufgrund mangelnder Nachfrage eingestellt. Heute dominieren Hybridsamen die Felder. Doch diese sind an die biologische Landwirtschaft gar nicht angepasst. Nicht biologisch gezüchtete Sorten haben nie „von klein auf gelernt“, unter biologischen Lebensbedingungen zu wachsen. Das stellt man auf den Feldern dann auch fest.
Wie gehen Sie mit Ihrem Verein konkret gegen die Missstände beim Saatgut vor?
Das bioverita-Label (Qualitätszeichen) soll den Verbraucher*innen durch ein einheitliches Zeichen aufzeigen, dass es sich hierbei um ein Produkt handelt, welches von Beginn der Wertschöpfungskette an, biologische Qualitätsbedingungen erfüllt. Bisher schreiben viele Firmen ihre eigenen Definitionen auf die Produkte. Das verwirrt. Deshalb arbeiten wir auch partnerschaftlich mit Biogroßhändler*innen zusammen, um gemeinsame Vermarktungsprojekte umzusetzen. Es ist wichtig von Anfang an alle Menschen mit ins Boot zu holen.
Was ist der Vorteil eines solchen Labels?
Als Konsument*in trägt man kontinuierlich an der Gestaltung der Nahrungsmittelkette bei. Mit jedem Einkauf, mit jeder Mahlzeit. Das Label versichert, dass das Saatgut, welches für dieses Produkt verwendet wurde, aus der Bio-Züchtung stammt. Oder einfacher: Achtung: Vital und lecker
Und was tun Sie bezüglich der Produkte selbst?
Wir kennzeichnen Produkte mit dem einheitlichen bioverita-Label und vermitteln, dass neue Sorten aus der Bio-Züchtung, an die Biolandwirtschaft und die klimatischen Anforderungen von heute optimal angepasst sind. Biologisch gezüchtete Sorten sind immer samenfest und somit nachbaufähig. Die Menschen sollen, richtig informiert, die Möglichkeit haben, ökologisch noch bewusster einzukaufen. Somit eben Bio von Anfang an! Es geht bei den Sorten nicht nur um Einheitlichkeit und Ertrag. Sondern auch um das geschmackliche Erlebnis.
Das Interview führte Markus Büttner, freischaffende Journalist, mit Anna-Lena May.