BIOFACH 2022: Podiumsdiskussion zur Bio-Züchtung

Am letzten Messetag der Biofach lud bioverita zu einer Podiumsdiskussion ein. Im Mittelpunkt stand die Frage „Kann die Bio-Züchtung zu einer qualitativen Weiterentwicklung des Biolandbaus beitragen?“ Auf dem Podium beleuchteten vier Akteur:innen die Frage aus ihrer Perspektive:

Niklaus Bolliger, Demeter-Landwirt und Apfelzüchter aus der Schweiz, Begründer des Vereins Poma Culta

Sabine Kabath, Geschäftsführerin der Biogärtnerei Watzkendorf GmbH in Mecklenburg-Vorpommern und Vizepräsidentin des Bioland-Verbandes

Sascha Damaschun, Geschäftsführer des Biogroßhandels Bodan in Überlingen und im Aufsichtsrat von Demeter e.V. tätig

Monika Messmer, Wissenschaftlerin am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL), Präsidentin des Europäischen Konsortiums für Biozüchtung
Die Moderation hatte Markus Johann, Geschäftsleiter von bioverita.

Das Podium

Stand der biologischen Züchtung

Zum Einstieg umriss Monika Messmer den Stand der biologischen Züchtung und stellte die vielfältigen Gründe heraus, warum es diese alternative Form der Züchtung geben muss. Sie stellte klar, dass bei der Bio-Züchtung nicht einfach gewisse Techniken ausgespart werden, sondern dass die Bio-Züchtung grundsätzlich einen anderen Ansatz verfolgt. „Die ethischen Kriterien sind sehr wichtig, es geht nicht zuletzt um die Respektierung der Würde der Pflanze.

Zudem sehen die biologischen Züchter immer das ganze System: Wie kann man insgesamt die Landwirtschaft und das Lebensmittelsystem nachhaltiger gestalten und mehr Diversität schaffen?“ Entsprechend dividieren sich die Entwicklung der Züchtungstechniken und -ziele der konventionellen Züchtungsfirmen und die der der Biolandwirtschaft immer mehr auseinander. „Das wird dazu führen, dass wir in Zukunft nicht mehr einfach die Sorten aus konventioneller Züchtung übernehmen können“, so ihr Fazit.

Einführung von Monika Messmer

Biologische Züchtung garantiert Gentechnikfreiheit

Die Bedeutung der Sorten aus Bio-Züchtung wächst besonders angesichts der Pläne der Europäischen Kommission, die sog. Neuen Gentechniken zu deregulieren. Wenn dies eintritt, müssen gentechnisch veränderte Organismen nicht mehr angemeldet und die entsprechenden Produkte nicht mehr deklariert werden. Eine dramatische Veränderung, insbesondere für den Biosektor. Der könne dann nicht mehr sicherstellen, dass er GVO-frei, also frei von gentechnisch veränderten Organismen sei, so Messmer.

„Von der Bio-Züchtung profitiert der gesamte Biosektor, da die Bio-Züchtung, anders als die konventionelle, die Werte und Grundsätze des Biolandbaus umsetzt und den gesamten Züchtungsprozess auf den würdevollen Umgang mit der Pflanze ausrichtet“, konstatierte die Wissenschaftlerin. Für sie sind Sorten und Tierrassen aus Bio-Züchtung die unabdingbare Grundlage für eine zukunftsgerichtete Entwicklung des Biolandbaus und der Grundstein für eine hohe Qualität der Biolebensmittel.

Vortragsansicht

Die Perspektive des Anbaus

Auch Sabine Kabath sieht das Thema auf einer übergeordneten Ebene: „Die Frage ist nicht die Sortenfrage, sondern die Systemfrage. Wenn der biologische Landbau die Zukunft sein soll – und Deutschland hat sich mit dem Ziel 30 % Bio bis 2030 dafür ausgesprochen –, dann braucht der Biolandbau eigene Sorten.“ Sie berichtete aus der Praxis der Biogärtnerei Watzkendorf, die Gemüse aus biologischer Züchtung für den Biogroßhändler Terra in Berlin kultiviert.

Gleichzeitig zieht der Betrieb im großen Stil Jungpflanzen für Gärtnereien in der Region an; unter etwa 800 verschiedenen Sorten sind derzeit 26 bioverita-zertifiziert. „Den Anbauer:innen ist klar, dass es nur diese Zukunft [mit den Sorten aus Bio-Züchtung] geben kann. Wir verlieren sonst unsere Unterscheidbarkeit und Differenzierung im Markt“, ist sich Kabath sicher. „Saatgut und Sorten sind Kulturgut und wir möchten nicht abhängig sein. Wir wollen die Branche an sich stärken.“

Sabine Kabath

Hemmnisse bei der Vermarktung

Ihr Betrieb würde auch jetzt schon gerne mehr Sorten aus Bio-Züchtung anbauen. Doch dafür müssten die Nachfrage und die [monetäre] Wertschätzung in der Wertschöpfungskette steigen. Derzeit hätten die Konsument:innen gegenüber Obst und Gemüse eine zu geringe Toleranz, „wenn es nicht ganz so glänzt und nicht ganz so rund ist.

Die Sorten aus Bio-Züchtung zeichnen die natürliche Ausstrahlung aus, gerade das ist ihre Qualität. Das zu erkennen ist ein Lernprozess“, hofft Kabath. Gleichzeitig engen die Handelsqualitätsnormen die Erzeuger:innen extrem ein. „Bio-Tomaten landen automatisch in Klasse 2, egal wie gut sie sind. Das sind Diskriminierungen, die aufgehoben gehören“, forderte sie.

Gärtnerei Watzkendorf Salatjungpflanzen
Salatjungpflanzen von Watzkendorf

Die Perspektive des Handels

Sascha Damaschun fördert bei Bodan seit langem den Anbau von samenfesten Sorten und Sorten aus Bio-Züchtung. „Es ist nach wie vor eine Nische, der wir bewusst einen Platz einräumen müssen“, gesteht er. Dies ist bei Bodan durch eine Teilzeitstelle gewährleistet. Die Person hat das Thema ständig im Blick, hält den Kontakt mit den Erzeuger:innen und intern mit den Bereichen Einkauf und Marketing.

„Die größte Herausforderung sind die höheren Risiken im Anbau und der höhere Aufwand, den Sorten aus Bio-Züchtung bedeuten, z.B. durch mehr Erntedurchgänge und eine weniger einheitliche Kalibrierung.“ Dies lasse sich nicht allein durch höhere Verkaufspreise abfedern.

Sascha Damaschun

Mehraufwand kommunizieren

„Wir stellen fest, dass es nicht eine rein einkäuferische Aufgabe von Menge, Preis, Kilo etc. ist, sondern dass es im Wesentlichen darauf ankommt, die Vorzüge der Sorten für den Handel, und dann auch für den Endkunden herauszustellen.

Beim Thema Eier und Küken haben wir gesehen, dass die Verbraucher:innen bereit sind, sich ökonomisch daran zu beteiligen, den Wandel mitzugestalten. Ähnlich sehe ich es bei der Bio-Züchtung. Durch bioverita haben wir eine Markenidentität, die das Ganze wiedererkennbar macht. Das macht es charmant“, konstatierte der Unternehmer.

Möhren bei Bodan
Möhren mit bioverita-Kistenecke

Die Perspektive des Züchters

Niklaus Bolliger brachte bei dem Gespräch die züchterische Perspektive ein: „Die Ansprüche des Handels an Tafeläpfel sind extrem hoch. Im Prinzip ist der Handel bei der Apfelproduktion so, dass kaum mehr ein Fleckchen tolerabel ist“, fasste der Züchter die Situation zusammen. „In der Apfelzüchtung gehen wir davon aus, dass wir Sorten finden, die besser für den Bio-Anbau sind als die konventionellen. Sie sollten mit viel weniger Spritzaufwand produziert werden können, das bedeutet geringere Risiken im Anbau.“ Allerdings bestehe die Schwierigkeit beim Obst in der Einführung einer neuen Sorte bei den Konsument:innen.

Bolliger unterstützte die vorangegangenen Aussagen, dass die Bio-Züchtung ein grundsätzlich anderes System darstellt und für den Biolandbau unabdingbar sei: „Die Bio-Züchtung zeichnet sich dadurch aus, dass der Züchter nicht einfach einzelne Probleme fokussiert und diese einzeln lösen will. Der Bio-Züchter züchtet innerhalb des biologischen Organismus, das heißt: auf einem Biobetrieb. Er selektioniert und entwickelt die Pflanzen in der Praxis des Anbaus. Die konventionelle Züchtung zieht sich immer mehr in die Labore und hinter die Bildschirme zurück. Das kann nicht unsere Zukunft sein.“

Niklaus Bolliger

Abhängigkeit von konventionellen Sorten

Die meisten derzeit angebauten Sorten kämen aus konventioneller Züchtung, seien aber ohne Einsatz von Gentechnik erzeugt worden. Mit der Deregulierung der neuen Gentechnik, stünden diese Sorten dem Biolandbau weiterhin zu Verfügung. „Allerdings wissen wir, dass uns diese Sorten nicht ewig zur Verfügung stehen werden, weil Sorten laufend vom Markt genommen werden.

Das ist ein großes Problem. Die Antwort von Bio muss also sein, dass die Züchtung so weit intensiviert ist, dass wir laufend das, was vom Markt genommen wird, durch Sorten aus der Bio-Züchtung ersetzen können. Das wird eine große Anstrengung sein, aber das ist möglich“, schloss der Züchter.

Bolliger mit jungen Apfelbäumen

Diskussionsrunde

In der Diskussionsrunde mit den Teilnehmer:innen im Saal standen zwei Fragen im Mittepunkt: „Wie können die angebauten und verkauften Mengen der Sorten aus Bio-Züchtung signifikant erhöht werden? Bisher liegen sie bei etwa 1 % im Gemüsebereich. Damaschun betonte, dass die Gemüsevermarktung schon gut funktioniere und in Kürze der nächste Schritt gemacht werde.

Ab Oktober werde es bei Bodan eine Produktlinie mit verschiedenen Mehlen aus biologisch gezüchteten Sorten geben, die mit bioverita gekennzeichnet ist. „Ich hoffe, dass wir damit auf der nächsten BIOFACH etwas anstoßen können. Wir brauchen Leuchtturmprojekte und -partner auf der Verarbeitungsebene, die gezielt Produkte im Trockenwarenbereich platzieren.

bioverita-Logo

Größere Mengen durch Trockenprodukte

Kabath ergänzte: „Die Information über die Herkunft des Gemüses aus Bio-Züchtung reicht durch die bioverita-Kistenecken maximal bis in den Laden. Wir brauchen bioverita-Produkte, die verpackt auf dem Küchentisch stehen und mehrfach in den Blick fallen mit ihrer Story.“ Und Damaschun war sich sicher: „Mit verarbeiteten Produkten wie Säften oder Tomatensauce können wir nicht nur den Kommunikationspunkt deutlich verbreitern, sondern auch größere Mengen beim Gemüse erreichen.“

Anschließend ging es um die Frage, wie wir das Sortenangebot aus Bio-Züchtung möglichst schnell vergrößern könnten, um den Biolandbau adäquat zu versorgen. Messmer war davon überzeugt, dass die Bio-Züchtung deutlich vorangebracht werden könne, wenn öffentliche Gelder in die Bio-Züchtung gingen und Züchtungsprojekte langfristig gefördert würden.

Monika Messmer, Markus Johann

Forschungsgelder reichen nicht

Es gäbe genug junge Menschen, die sich für die Züchtung interessierten, nur wäre es derzeit noch sehr schwer, davon zu leben. „Bisher müssen wir uns mit 2 % der Forschungsgelder für die Landwirtschaft begnügen, sollen aber demnächst 30 % in der Fläche leisten, das funktioniert nicht,“ stellte Kabath klar und ergänzte: „Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat in seiner Eröffnungsrede der Biofach angekündigt, sich dafür stark zu machen, dass der Anteil auf mindestens 30 % wächst. Dann kommen wir da auch schneller voran.“ Messmer verwies auf einen weiteren Aspekt, auf die Hemmnisse der staatlichen bzw. europäischen Sortenprüfung:

„Das Sortenzulassungssystem muss geändert werden. Bisher findet die Sortenprüfung nur in Ausnahmefällen unter Bio-Bedingungen statt, oft zum Nachteil der angemeldeten Bio-Sorten. Am besten wäre es, eine „onfarm“-Sortenprüfung zu etablieren.“ Sie fügte hinzu: „Ich wünsche mir einen öffentlichen Dialog, der auch die Städte mit einbezieht: Was für ein Lebensmittelsystem wollen wir eigentlich in Zukunft haben? Und welche Weichen müssen wir für die Abkehr von der industriellen Landwirtschaft stellen, die so viele ökologische Probleme verursacht?“

Messestand „Treffpunkt Bio-Züchtung“

Fazit

Im Zuge der Diskussion wurde klar, dass die biologische Züchtung von neuen Sorten ein essenzieller Bestandteil ist, wenn es um die Weiterentwicklung des Biolandbaus geht. Die biologische Züchtung steht für das „System Bio“, also für eine umweltverträgliche, nachhaltigere Form der Landwirtschaft.

Der Plan der Bundesregierung, bis 2030 30 % der Flächen biologisch zu bewirtschaften, ist angelehnt an die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der europäischen Länder. Damit ist die Richtung politisch definiert, nur die Weichen sind noch längst nicht alle richtig gestellt.

Bio von Anfang an

Fotosnachweis: Foto 3: FiBL, Foto 5: Biogärtnerei Watzkendorf, Foto 7: Bodan Großhandel für Naturkost GmbH, Rest bioverita